Ist der Strom in Deutschland durch die Abschaltung der Atomkraftwerke teurer geworden?

Nun sollen die Atomkraftwerke also doch nicht rückgebaut werden, wenn es nach dem Willen der FDP geht. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg – zumindest ein bisschen. Ist aber der Strom in Deutschland durch die Abschaltung der Kernkraftwerke wirklich teurer geworden? Darüber wird viel gestritten, mit teils abenteuerlichen Argumenten. Was stimmt wirklich?

Die enttäuschende Antwort vorweg: ob der Strom durch die Abschaltung der Atomkraftwerke teurer geworden ist, kann niemand beantworten. Es ist aber sehr wahrscheinlich.

Um nachzuweisen, dass der Strom nach der Abschaltung der letzten Kraftwerke am 15.04.2023 nicht teurer geworden ist, wird häufig ein „Vorher-Nachher-Vergleich“ der Strompreise vor und nach Abschaltung genutzt. Und weil die Strompreise im Mai 2023 nicht wesentlich anders waren als im März 2023 wird geschlussfolgert, dass die Abschaltung keinen wesentlichen Einfluss gehabt habe. Diese Methodik ist aber problematisch.

Zum einen wird auf diese Weise nur der Einfluss der letzten drei Atomkraftwerke, die noch bis April 2023 in Betrieb waren und rund 6% des deutschen Bedarfs produzierten, vermeintlich untersucht. Deutschland hatte aber vor dem Atomausstieg 18 Atomkraftwerke, die in der Spitze 30% des deutschen Bedarfs erzeugten. Insoweit muss man zunächst die Frage präzisieren: soll der Einfluss der letzten drei Kraftwerke, oder der Einfluss des Atomausstiegs insgesamt untersucht werden?

Zum anderen gibt es dutzende Einflussfaktoren auf den Strompreis: den Gaspreis, den Kohlepreis, den CO2-Preis, Rezessionserwartungen, das Wetter und vieles mehr. Um gezielt den Einfluss eines Einflussfaktors ermitteln zu können genügt ein Vorher-Nachher-Vergleich nicht. Das ist vergleichbar mit medizinischen Studien zur Wirksamkeit von Arzneimitteln: wenn ich 100 Patienten mit einer Infektion ein Antibiotikum und ein Placebo gebe und alle wieder gesund werden (Vorher-Nachher-Vergleich): lag es dann am Placebo?

In der Medizin werden darum sogenannte Doppelblindstudien durchgeführt: einer Gruppe von Patienten mit randomisierten Merkmalen wird entweder der Wirkstoff oder ein Placebo gegeben. Wenn dann in einer Auswertung signifikante Unterschiede auftreten kann man davon ausgehen, dass der Wirkstoff verantwortlich war.

So müsste man es auch beim Strompreis machen: wir bräuchten ein „Kontrolldeutschland“, in dem alles genau so ist wie im Echten, nur dass die Atomkraftwerke nicht abgeschaltet wurden. Leider gibt es kein „Kontrolldeutschland“…

Die ökonomische Theorie lässt trotzdem eine Aussage zu: wenn das Angebot sinkt und die Nachfrage gleich bleibt, wird der Preis steigen. Diese Gesetzmäßigkeit gilt auch für Strompreise. Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat das Angebot verkleinert, deswegen können wir davon ausgehen, dass der Strom teurer ist, als er ohne Abschaltung gewesen wäre. Aber um wieviel, kann leider niemand sagen.

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