Die Vernachlässigung sozialer Aspekte in der Energiewende: Das „dröhnende Schweigen“ zum Klimageld

Viele Aspekte der Energiewende sind zutiefst unsozial. Leider wird dagegen wenig unternommen, was in letzter Zeit am “dröhnenden Schweigen” zum Klimageld zu bemerken ist.

Der mangelnde soziale Ausgleich bei Klimaschutzmaßnahmen hat eine traurige Tradition. Bereits die erste rot-grüne Koalition brachte einige Maßnahmen auf den Weg, die insbesondere Geringverdiener überproportional belastet hat. Dazu zählte beispielsweise die Einführung von “Ökosteuern”, mit denen die Verwendung nicht-erneuerbarer Energiequellen verteuert werden sollte. So wurde eine Stromsteuer eingeführt und die Steuersätze auf fossile Energieträger wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas in mehreren Schritten erhöht.

Ganz ohne Frage regten diese Maßnahmen zum Sparen an. Der Anreiz ist aber natürlich umso höher, je größer der Anteil dieser Kosten am privaten Haushaltsbudget ist. Gut- und Besserverdienende müssen prozentual viel weniger ihres Einkommens für Energie aufwenden als Geringverdiener oder Sozialtransferempfänger. Die Steuererhöhung trifft sie relativ gesehen also weniger. Darüber hinaus ist Energie kein Luxusgut, viele Verbräuche sind kaum beeinflussbar. Nachts benötigt man Beleuchtung, in ländlichen Gegenden muss man mit dem Auto zur Arbeit fahren und hin und wieder muss die Waschmaschine laufen. Eine Lenkungssteuer läuft hier ins Leere: der Verbrauch lässt sich kaum beeinflussen.

Ebenfalls völlig sozial indifferent wurde ein weiteres Instrument zur Beschleunigung der Energiewende ausgestaltet: die EEG-Umlage. Um die höheren Gestehungskosten erneuerbarer Erzeuger über eine staatlich garantierte Vergütung auszugleichen und diese Erzeuger damit in den Markt zu drücken, wurde die Umlage auf den Stromverbrauch aufgeschlagen und musste daher von allen Kunden entrichtet werden, vom Millionärshaushalt bis zum Hart-IV-Empfänger. Auch hier muss festgestellt werden, dass ärmere Haushalte prozentual stärker belastet wurden als Besserverdienende. Und die von Jürgen Trittin in 2000 noch selbstbewusst verkündete Aussage, die Umlage werden pro Haushalt “nicht mehr als eine Kugel Eis” im Monat kosten, wurde schnell von der Realität eingeholt. In der Spitze lag die EEG-Umlage bei 6,9 Cent pro Kilowattstunde (netto), so dass ein durchschnittlicher Haushalt mit einem Verbrauch von 3.500 Kilowattstunden rund 290 € (brutto) pro Jahr in den “EEG-Topf” einzahlen musste.

Profitieren konnten von dieser Förderung natürlich nur Einfamilienhausbesitzer, die in der Regel ein höheres Haushaltsbudget haben als Sozialhilfeempfänger oder Geringverdiener. Und so zahlten häufig Mieter dem Vermieter indirekt ein Zusatzeinkommen. Umverteilung von unten nach oben.

Diese Regelungen sind schon sehr alt und die EEG-Umlage wurde bekanntlich abgeschafft. Aber vieles ist heute auch nicht besser: zusätzlich zu den “Ökosteuern”, die es immer noch gibt, werden heute CO2-Abgaben auf fossile Energieträger erhoben, die in gleicher Weise wie im Jahr 1999 Geringverdiener übermäßig belasten. Die Einnahmen aus den CO2-Abgaben fließen über den “Klima- und Transformationsfonds” in den EEG-Topf, um die Mindereinnahmen aus der weggefallenen EEG-Umlage aufzufangen. Im Prinzip hat sich also gar nicht so viel verändert: alle müssen zahlen, Eigenheimbesitzer profitieren.

Darüber hinaus wurden Möglichkeiten geschaffen, wie insbesondere Eigenheimbesitzer sich aus der Solidargemeinschaft der Netzkunden verabschieden konnten: seit 2009 besteht die Möglichkeit, Strom aus einer EEG-geförderten Photovoltaik-Anlage selbst zu verbrauchen und nur noch das, was man selbst nicht nutzen kann, in das Netz gegen Zahlung einer Vergütung einzuspeisen (“Überschusseinspeisung”). Das führt für die Betreiber zu enormen Einsparpotentialen, denn alle Umlagen, Abgaben, Steuern und Margen, die auf den aus dem Netz bezogenen Strom anfallen, müssen bei der Eigenerzeugung nicht entrichtet werden. Und das sind einige: die Umsatzsteuer (Einnahmeausfälle bei Bund und Ländern), die Konzessionsabgabe (Einnahmeausfälle bei der Kommune), die Netzentgelte (Einnahmeausfälle beim Netzbetreiber, häufig das lokale Stadtwerk), die Vertriebsmarge (Einnahmeausfälle beim Lieferanten, ebenfalls häufig das lokale Stadtwerk) und sonstige Umlagen, bis 2022 insbesondere die EEG-Umlage (ausgerechnet!).

Das wäre vielleicht gut zu begründen, wenn die Anlagenbetreiber zum Selbstversorger werden und autark leben würden. Das ist jedoch nicht ansatzweise der Fall. Selbst mit einem Batteriespeicher können die meisten Haushalte nur einen Bruchteil ihres Bedarfs mit der eigenen Anlage erzeugen. Der Reststrom wird aus dem allgemeinen Stromnetz bezogen. Die Infrastruktur des Netzbetreibers, des Lieferanten und des gesamten Strommarktes wird also noch immer in Anspruch genommen, es wird nur weniger dafür gezahlt.

Ein großer Teil der Infrastrukturkosten sind in der Regel Fixkosten. Bei einem Stromnetz führt eine geringere Durchleitungsmenge beispielsweise kaum zu Kostenveränderungen, denn die Leitungen und Transformatoren bleiben ja erhalten. Die Einsparungen der Betreiber führen also an anderer Stelle Einnahmeausfällen, die von der verbleibenden Gesamtheit der Zahler aufgefangen werden müssen. Im Englischen fasst man so eine Situation gerne zusammen mit dem Sprichwort: “there ain’t no such thing as a free lunch” – irgendwer bezahlt die Zeche immer. Und auch in diesem Fall wird dabei nicht nach sozialen Kriterien differenziert.

Überraschenderweise wird das Modell “Überschusseinspeisung” von der Politik keineswegs als Egoismus gebrandmarkt, obwohl es das zweifelsfrei ist. Stattdessen werden Hausbesitzer sogar ermuntert, dieses Modell umzusetzen, um die PV-Ausbauziele zu erreichen. Aber mit jedem Konsumenten, der gleichzeitig Produzent ist (neudeutsch: “Prosumer”) müssen mehr und mehr Anteile an der Infrastruktur von den verbleibenden Netzkunden finanziert werden. Nicht aus dem Solidarsystem verabschieden können sich auch hier häufig Geringverdiener, die mangels Eigenheim keine eigene Erzeugungsanlage betreiben können. Das Bejubeln von Balkonsolaranlagen wirkt da ein wenig wie die Vergabe eines Trostpreises, der über diese Tatsache hinwegtäuschen soll.

Allen Parteien der Ampelkoalition schien noch im Wahlkampf bewusst zu sein, dass diese soziale Schieflage auf Dauer auffallen würde. Bundeskanzler Scholz warnte in Bezug auf steigende Energiepreise davor, dass eine “Gelbwesten-Bewegung” wie in Frankreich auch hier vorstellbar werden könnte. Auch wenn das in Deutschland statt in brennenden Barrikaden in der Hauptstadt wohl eher in ordnungsgemäß angemeldeten und sorgfältig organisierten Demonstrationen in mehreren mittelgroßen deutschen Städten samt Solidaritätsbekundungen von seit Jahren im Ausland lebenden Prominenten münden würde flößte diese Aussicht den Koalitionären in der Anfangsphase noch genügend Respekt ein, um ein “Klimageld” zuzusagen, dass als Ausgleich für wirtschaftliche Belastungen aus der CO2-Besteuerung dienen sollte. Dieses sollte, soweit möglich, sogar sozial differenziert ausgezahlt werden um der Bevölkerung zu signalisieren, dass Klimaschutz keinesfalls nur mit Belastungen verbunden ist.

Allein: es kommt nicht. Von der Einführung eines Klimageldes spricht praktisch niemand mehr und auf Nachfragen hört man eher Ausreden als Planungen. Der Grund ist leicht nachvollziehbar, denn man kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Und der Topf, aus dem das Klimageld kommen müsste, der “Klima- und Transformationsfonds”, der die Einnahmen aus der CO2-Abgabe aufnimmt, wird ja allenthalben bereits anderweitig verplant. Aus den Einnahmen muss immerhin die Gegenfinanzierung zur weggefallenen EEG-Umlage bedient werden und so behaupten einige Politiker bereits, die Abschaffung der Umlage sei doch bereits eine Art “Klimageld”. Darüber hinaus müssen Förderprogramme für die energetische Sanierung, die Förderung der Elektromobilität und der Wasserstoffwirtschaft unterfüttert werden. Das kostet alles viel Geld und so könnte es sein, dass für ein “Klimageld”, das jeder Bürger erhält, einfach nicht mehr genügend da ist.

Die Förderung der oben genannten Zwecke hat nur ein Problem: nicht jeder partizipiert gleich daran. Elektroautos sind derzeit als Gebrauchte kaum erhältlich, so dass deren Förderung notwendigerweise eher Neuwagenkäufern zugute kommt, zu denen Geringverdiener meistens nicht zählen. Auch eine Wasserstoffwirtschaft werden Empfänger von Sozialtransfers wohl kaum nebenbei im Keller ihres Plattenbaus aufbauen und energetische Sanierungen betreffen ebenfalls eher Vermieter. Letzteres hätte wenigstens das Potenzial, die Mieten zu senken.

Bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, eine Gegenfinanzierung für die Kosten der Energie- und Wärmewende auf die Beine zu stellen: so lange nicht die gesamte Bevölkerung mitgenommen wird, wird die Energiewende scheitern. Das gilt erst recht, wenn zunächst vollmundige Versprechungen zu einem Klimageld gemacht werden, die dann nicht eingehalten werden. Welchem Parteienspektrum diese Art von Politik nutzt, haben wir bei der Debatte um das “Heizungsgesetz” erleben müssen. Höchste Zeit, umzusteuern…

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