Das Vergessene Potenzial: Wie eine Änderung des Merit-Order-Systems den Strompreis senken könnte

Es gibt eine einfache Möglichkeit, wie Strom sehr schnell wieder günstiger werden könnte, über die kaum noch gesprochen wird: eine Anpassung des Merit-Order-Systems. Schade eigentlich, denn hier liegt nach wie vor viel Potential.

Das System funktioniert wie folgt. Energieerzeuger geben Angebote ab, lassen also wissen, welche Menge sie zu welchem Preis produzieren können. Die Börse ermittelt die Nachfragemenge und erteilt den Anbietern so lange Zuschläge, bis die Nachfrage gedeckt ist. Die Anbieter werden dabei nach Preis in aufsteigender Reihenfolge sortiert. Je teurer also angeboten wird, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass man “drankommt”. Diese Reihenfolge, von günstig zu teuer, nennt man “Merit Order”, also zu deutsch Zuschlagsreihenfolge.

Die Besonderheit: der Zuschlagspreis richtet sich einheitlich nach dem teuersten Anbieter. Auch der günstigste Erzeuger bekommt also den Preis zugesprochen, den der teuerste zum Einsatz kommende Erzeuger angeboten hatte. Dieses Prinzip nennt sich Pay-as-Clear, es gibt also einen einheitlichen Marktpreis für alle.

In der Regel haben erneuerbare Kraftwerke die geringsten Einsatzkosten. Danach erst kommen fossile Kraftwerke, die durch ihre Brennstoffkosten höhere Preise aufrufen müssen. Das führt dazu, dass die Einsatzkosten für fossile Kraftwerke häufig den Marktpreis bestimmen, denn eine Nachfragedeckung komplett ohne diese Kraftwerke gelingt im Moment nur selten.

Das Pay-As-Clear-Prinzip ist eigentlich kontra-intuitiv: wenn ein Anbieter zusagt, für 6 Cent pro Kilowattstunde zu produzieren, warum soll man ihm dann 10 Cent zusprechen? Das Hauptargument für dieses Modell ist, dass ein Anreiz gesetzt wird, kostengünstige Kraftwerke zu bauen. Je kostengünstiger produziert werden kann, desto höher wird tendenziell der Deckungsbeitrag sein. Die günstigsten Einsatzkosten haben erneuerbare Erzeuger, so dass dieses Modell deren Ausbau stark anreizt. Das Pay-As-Clear-Modell ist also in gewisser Weise eine Subvention für die Erneuerbaren Energien.

Jede Subvention muss aber letztlich von irgendwem bezahlt werden, in diesem Fall von der Gesamtheit der Stromverbraucher.

Eine Möglichkeit, das Merit-Order-Modell zu ändern, liegt auf der Hand: jeder Anbieter bekommt den Preis zugestanden, den er angeboten hat. Das nennt sich Pay-As-Bid-Modell und ist in vielen Bereichen durchaus üblich, beispielsweise bei Windkraft-Ausschreibungen. Auf diese Weise sinkt der durchschnittliche Marktpreis, trotzdem erhält jeder Produzent die Vergütung, die er für einen auskömmlichen Betrieb benötigt.

Zu Beginn der Energiekrise wurde über das Merit-Order-Modell noch viel gesprochen. Die Diskussionen sind jedoch recht schnell wieder abgestorben. Wahrscheinlich möchte sich niemand vorwerfen lassen, den Ausbau der Erneuerbaren gebremst zu haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese Entscheidung zu höheren Strompreisen für Industrie und Verbraucher führt.

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