Im Auge des Sturms: wie Blackouts in Kauf genommen werden

Foto: Alexander Gerst / Flickr.com

Manchmal herrscht ja nicht nur im Windpark Flaute, sondern auch im Journalismus. Momentan wird jedenfalls erstaunlich wenig „Wind“ darum gemacht, dass die Politik offenbar Blackouts in diesem Winter in Kauf nimmt.

Worum geht es? Die Bundesregierung hat zur Klärung der Frage, ob die drei noch laufenden Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim und Emsland planmäßig zum 31.12.2022 abgeschaltet werden können, einen sogenannten „Stresstest“ bei den vier Übertragungsnetzbetreibern in Auftrag gegeben. Auf Grundlage des Ergebnisses dieses Stresstests hat Bundeswirtschaftsminister Habeck die Entscheidung getroffen, das Atomkraftwerk Emsland zum 31.12.2022 abzuschalten und die beiden anderen Kraftwerke „in Reserve“ zu halten – was auch immer das heißt. Nur: das ist nicht das Ergebnis des Stresstests!

Vielmehr haben die vier Übertragungsnetzbetreiber sehr deutlich empfohlen, alle Atomkraftwerke am Netz zu lassen! Zitate:

  • „In allen drei betrachteten Szenarien zeigt sich die Versorgungssituation im kommenden Winterhalbjahr äußerst angespannt – in Europa kann im Strommarkt die Last nicht vollständig gedeckt werden.“
  • „In den beiden kritischeren Szenarien (++, +++) treten in einigen Stunden Lastunterdeckungen auch in Deutschland auf.“
  • „Sämtliche Reserven (auch Netzreserve und besondere netztechnische Betriebsmittel) müssen für die
    bilanzielle Lastdeckung und den Redispatch nutzbar gemacht werden.“
  • „Verfügbarkeit der KKW ist ein weiterer Baustein zur Beherrschung kritischer Situationen.“

Zugegeben, das ist leider etwas technisch formuliert, darum einige Begriffserklärungen. „KKW“ steht für „Kernkraftwerk“, also Atomkraftwerk (man traute sich offenbar nicht einmal, das Wort auszuschreiben). „Bilanzielle Lastabdeckung“ bedeutet, es wird soviel Strom erzeugt, wie benötigt wird. „Lastunterdeckung“ bedeutet dementsprechend, es wird nicht so viel Strom erzeugt, wie benötigt wird. „Redispatch“ bedeutet, der Strom wird dort erzeugt, wo er benötigt wird (was das Netz entlastet). Was das ganze bedeutet ist: wir brauchen die Atomkraftwerke.

In welchen Fällen die Atomkraftwerke benötigt werden, steht auch in dem Stresstest: nämlich in zwei von drei Fällen. Es wurden drei Szenarien untersucht. Nur im besten Szenario kommt es nicht zu „Lastunterdeckungen“ – in den anderen beiden Szenarien aber sehr wohl. In diesen Fällen wird es Situationen geben, in denen es weniger Strom gibt, als benötigt wird. Das führt normalerweise zu Stromausfällen, Neudeutsch auch „Blackout“ genannt. Die Übertragungsnetzbetreiber leisten hier aber der Politik Schützenhilfe. Amprion hat allen Ernstes eine Pressemitteilung herausgegeben mit dem Titel „Warum wir nicht mit einem Blackout im Winter rechnen“. Die Begründung: Amprion rechnet nicht mit einem Blackout im Winter, weil man bei Bedarf „regional und zeitlich begrenzt“ Verbraucher abschalten wird. Bevor der Strom also durch eine Mangelsituation ausfällt, schaltet man ihn lieber proaktiv selbst aus.

Natürlich ist das das Einzige, was die Übertragungsnetzbetreiber in so einer Situation noch tun können. Aber zu behaupten, es käme nicht zu Stromausfällen, weil man Verbraucher abschaltet, bevor der Strom ausfällt, ist doch wohl die hohe Schule der Dialektik. Im Volksmund herrscht Stromausfall, wenn es keinen Strom gibt. Ob der Netzbetreiber prophylaktisch abschaltet, oder ob das ganze ungeplant passiert, interessiert in dieser Situation doch niemanden.

Es ist faszinierend, wie ruhig und unbeirrt wir auf dieses Risiko zusteuern. Die Situation erinnert an das Auge des Sturms: die ersten Böen haben wir überstanden und denken nun, es wird schon gut gehen. Aber das Schlimmste liegt möglicherweise noch vor uns…

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