Durch die russischen Erdgas-Liefereinschränkungen droht in Deutschland ein Gasmangel, der sich auf alle Lebensbereiche auswirken könnte. Während die Wirtschaft Produktionseinbrüche und Arbeitsplatzverluste fürchtet sorgen sich Privatpersonen darum, ob sie im Winter das Heizgas oder den Strom für die Wärmepumpe bezahlen können. Um die Folgen des Gasmangels abzumildern muss gespart werden. Und so appelliert die Politik bereits seit längerem an die Bevölkerung und an die Industrie, Einsparpotentiale zu suchen. Bereits im Juni rief Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Energiesparen auf: „Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, sekundierte: „Gas einsparen und einspeichern für den Winter ist jetzt das Gebot der Stunde.“
Zwischenzeitlich war unklar, ob die Sparappelle auch Strom und damit Wärmepumpenbesitzer betrafen. Die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, teilte noch im Juli mit: „Wir haben ein Wärmeproblem, kein Stromproblem“ und begründete damit, dass eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken nicht nötig sei. Der Markt sah das offenbar anders, denn kurz darauf explodierte der Strompreis und überschritt die Marke von einem Euro pro Kilowattstunde für Lieferungen in 2023.
Es muss also Energie gespart werden, insbesondere Strom und Gas. Und weil die Bundesregierung offenbar nicht daran glaubt, dass Appelle und die hohen Preise allein Anreiz genug sind, um zu sparen, wurde eine Verordnung erlassen, die bestimmte Sparmaßnahmen legislativ verankert: die „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“ , kurz EnSikuMaV.
Durch die Maßnahmen dieser Verordnung sollen sowohl Gas, als auch Strom gespart werden. So wird es beispielsweise untersagt, Gebäude, Baudenkmäler oder Werbeanlagen nachts zu beleuchten. Dass es nicht nur ein Wärme-, sondern auch ein Stromproblem gibt, ist also offenbar doch noch im Wirtschaftsministerium angekommen. Ob als Folge dieser Erkenntnis auch eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken angestrebt wird, ist derzeit noch unklar. Eine Begründung dafür zu finden, Kernkraftwerke (mangels Bedarf) abzuschalten, während gleichzeitig Stromsparmaßnahmen per Verordnung vorgeschrieben werden, dürfte jedoch Kreativität erfordern…
Herzstück der Verordnung sind aber Energieeinsparmaßnahmen im Bereich der Gebäudeheizung. So dürfen private Pools nicht mehr mit Gas oder Strom erwärmt werden, Flure und andere Gemeinschaftsflächen dürfen nicht mehr beheizt werden, Durchlauferhitzer für Handwaschbecken sind abzuschalten, Trinkwassertemperaturen sind auf das Notwendige zu beschränken, Mieter müssen Mindesttemperaturvorschriften nicht mehr einhalten, Ladentüren im Einzelhandel sind geschlossen zu halten und die Lufttemperatur in Arbeitsräumen wird eingeschränkt: Büros dürfen nur noch auf maximal 19 Grad Celsius erwärmt werden, für andere Arbeitsräume (bspw. Werkstätten) gelten noch niedrigere Temperaturen.
Diese Maßnahmen sind grundsätzlich nachvollziehbar und sicherlich geeignet, Energie einzusparen, insbesondere Gas. Eigentlich gibt es jedoch eine ganz andere Verordnung, die Erdgas-Sparmaßnahmen regeln sollte, nämlich die „Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise“ (GasSV), die im Wesentlichen Vorgaben der europäischen „Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung“ (SoS-VO) in deutsches Recht umsetzt. Nach der GasSV kann die Bundesnetzagentur Verfügungen an Verbraucher erlassen, die den Bezug von Gas einschränken. Dafür gibt es aber zwei Voraussetzungen. Erstens muss die sogenannte „Notfallstufe“ des Notfallplans Gas ausgerufen worden sein und zweitens können selbst in der Notfallstufe für Verbraucher, die als „geschützte Kunden“ einzustufen sind, keine Einschränkungen erlassen werden. Als geschützte Kunden gelten praktisch alle Haushaltskunden sowie weitere Kundengruppen, beispielsweise Krankenhäuser und Altenheime.
Die „Notfallstufe“ des Notfallplans Gas wurde noch nicht ausgerufen, da diese erst bei einer konkreten Gasmangellage vorliegt. Aktuell kann jedoch die gesamte Gasnachfrage bedient werden (wenn auch zu astronomischen Preisen), die Gasmangellage droht also nur, ohne bereits eingetreten zu sein. Seit dem 23. Juni 2022 gilt die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die „Alarmstufe“. Da ohne Ausrufung der Notfallstufe keine Bezugsbeschränkungen durch die Bundesnetzagentur verhängt werden dürfen, brauchte es für verbindliche Einsparvorgaben eine neue Verordnung. In der EnSikuMaV wird nicht zwischen geschützten Kunden und nicht geschützten Kunden unterschieden, obwohl diese Unterscheidung eigentlich in der europäischen Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (SoS-VO) verbindlich vorgegeben ist. Die EnSikuMaV macht allerdings gar keine Vorgaben zum Gasverbrauch – nur zur Raumtemperatur. Auf diese Weise hat die Bundesregierung die Vorgaben der SoS-VO umgangen und die Einsparvorgaben betreffen auch Gaskunden, die nach Europarecht eigentlich als „geschützt“ gelten…
Die Vorgaben der EnSikuMaV gelten gleichwohl nicht für alle. Insbesondere die Vorgaben zur Höchsttemperatur in Arbeitsräumen gelten nur für „öffentliche Nichtwohngebäude“. Als öffentliche Gebäude im Sinne der Verordnung gelten:
- Gebäude im Eigentum oder in der Nutzung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Dazu zählen zum Beispiel Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommunen), Krankenkassen, Kirchen oder Sparkassen. Auch der Bundestag und die Landesparlamente dürften betroffen sein. Krankhäuser, Schulen und Bildungseinrichtungen wurden vernünftigerweise ausgenommen (auch wenn einige Universitäten trotzdem bereits überlegen, die Präsenzlehre wieder einzuschränken).
- Gebäude im Eigentum einer juristischen Person des Privatrechts, soweit die Person öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge erbringt und unter der finanziellen oder politischen Kontrolle von einer Gebietskörperschaft steht. Man hätte wohl auch einfach „Stadtwerke“ schreiben können.
Nur die öffentliche Verwaltung und Stadtwerke dürfen also die Büros auf nicht mehr als 19 Grad Celsius heizen. Für private Arbeitgeber gilt das nicht! Ganz im Gegenteil: für alle Arbeitgeber gilt, dass Büros auf mindestens 19 Grad Celsius beheizt werden müssen (§12 EnSikuMaV). Bei öffentlichen Arbeitgebern ist die Mindesttemperatur gleichzeitig die Höchsttemperatur.
Eine Temperatur von 19 Grad Celsius ist für Bürotätigkeiten, die im Wesentlichen im Sitzen ausgeübt werden, grenzwertig. Auch wenn keine gesundheitlichen Gefahren drohen ist diese Temperatur unangenehm und dürfte die Produktivität einschränken. Nicht ohne Grund galt bisher eine Mindesttemperatur von 20 Grad Celsius für sitzende Tätigkeiten. Es dürfte davon ausgegangen werden, dass die Temperatur in vielen Büros über der Mindesttemperatur lag.
Aus welchem Grund diese Heizvorgabe nur für den öffentlichen Dienst gilt, ist nicht ganz nachvollziehbar. In der Begründung zur Verordnung wird ausgeführt, das solle der „Vorbildfunktion der öffentlichen Hand“ Rechnung tragen. Ob die einseitige Einsparvorgabe für die öffentliche Verwaltung dazu beiträgt, den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen, darf aber wohl bezweifelt werden. Aktuell fehlen im öffentlichen Dienst nach Schätzungen des Deutschen Beamtenbundes (dbb) etwa 360.000 Mitarbeiter; es wird erwartet, dass diese Lücke noch größer wird. Offene Stellen können häufig nur schwer oder gar nicht besetzt werden, weil private Arbeitgeber besser zahlen und insgesamt bessere Arbeitsbedingungen bieten. Vor diesem Hintergrund darf man wohl die Frage stellen: warum muss denn nur der öffentliche Dienst frieren? Andere Vorgaben der EnSikuMaV, beispielsweise zur Beleuchtung von Gebäuden, gelten doch auch für die Privatwirtschaft.
Weitere Ungereimheiten der Verordnungen sind vielleicht mit der Geschwindigkeit zu erklären, mit der im Moment Politik gemacht werden muss: so gelten die Heizvorgaben unabhängig davon, welcher Energieträger verwendet wird. Selbst Gebäude, die mit Holzpellets oder Heizöl erwärmt werden, müssen die Einsparvorgaben einhalten. Weder bei Holzpellets noch bei Heizöl gibt es aber akute Knappheiten. Möglicherweise wäre man aber auch in rechtliche Grauzonen geraten, wenn man Heizvorgaben nur für Gasheizungen erlässt, denn viele Gaskunden gelten eigentlich als „geschützte Kunden“…
Möglicherweise sind Stadtwerke in der Politik auch einfach nur nicht gut gelitten. So hat die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) angeregt, dass Stadtwerke-Chefs auf Teile ihres Gehalts verzichten, um die Strom- und Gaspreise zu entlasten. Mal abgesehen davon, dass diese Kosten nur einen sehr geringen Teil der Strom- und Gaspreise ausmachen: was haben die armen Stadtwerke denn der Politik nur getan?
Dass Energie gespart werden muss, ist jedem klar und die kommunalen Unternehmen leisten sicher gerne ihren Beitrag. Zur Solidarität, die von der Politik zurecht gefordert wird, gehört aber auch, dass alle mitmachen. Warum also muss nur der öffentliche Dienst frieren? Das ist nur schwer nachzuvollziehen und sollte noch einmal überdacht werden.