Wasserstoff ist der Hoffnungsträger der Energiewende. Bill Gates vergleicht das Element mit einem „Schweizer Taschenmesser“, weil es so vielseitig ist. Wasserstoff kann als Energiespeicher dienen, als Treibstoff für Pkw und Lkw, und als Kraftstoff für Strom- und Wärmeerzeuger, sowohl in Brennstoffzellen als auch in Turbinen, Blockheizkraftwerken oder in Brennwertkesseln. Darüber hinaus wird es wegen seiner hohen Energiedichte gelobt: ein Kilogramm Wasserstoff enthält so viel Energie wie etwa 3,5 Kilogramm Erdgas. Da stellt sich natürlich die Frage, warum es erst jetzt verstärkt als Energieträger genutzt werden soll.
Warum wird Wasserstoff nicht schon längst genutzt?
Ein Teil der Antwort ist: weil in der Natur kein Wasserstoff in Reinform vorkommt. Das auf der Erde vorkommende Element Wasserstoff – in der Chemie mit H2 abgekürzt – ist in Molekülen gebunden, insbesondere in Wassermolekülen, chemisch H2O. Aber auch Erdgas, das im Wesentlichen aus Methan besteht, enthält viel Wasserstoff, denn Methan besteht aus einem Kohlenwasserstoff, chemisch CH4. Weil Kohlenwasserstoffe leider die Eigenschaft haben, den Kohlenstoff im Rahmen einer Verbrennung an den Sauerstoff abzugeben und dabei Kohlenstoffdioxid, also CO2, zu erzeugen, wird Wasserstoff in Reinform benötigt, um CO2-neutrale Energie zu verwenden. Um Wasserstoff zu nutzen, muss also erstmal Wasserstoff – mit grünem Strom – erzeugt werden, was deutlich energieaufwendiger ist, als fossile Energieträger zu fördern, die die Natur bereits in Jahrmillionen „erzeugt“ hat. Erst unter der Voraussetzung, dass fossile Energieträger nicht mehr genutzt werden sollen, wird die Verwendung von Wasserstoff interessant.
Ein weiterer Teil der Antwort auf die Frage, warum Wasserstoff nicht bereits genutzt wird, ist, dass Wasserstoff im Vergleich zu anderen Energieträgern schwierig zu transportieren ist. Das scheint im Widerspruch zu stehen zu der Aussage, dass Wasserstoff eine phänomenal hohe Energiedichte hat: ein Stoff mit einer hohen Energiedichte müsste doch leichter zu transportieren sein als ein Stoff mit geringer Energiedichte. Aber jeder, der schon einmal einen Umzugswagen gepackt hat, weiß, dass nicht nur das Gewicht eine Rolle spielt, sondern auch das Volumen: wer seine Umzugskartons nur halb voll packt, überschreitet vielleicht nicht die Traglast des Lkw, sehr schnell aber das Volumen der Ladefläche… Und bei der Energiedichte bezogen auf das Volumen liegt Wasserstoff im Vergleich zu anderen Energieträgern sehr weit hinten. Um 1.000 Kilowattstunden (eine Megawattstunde) zu transportieren benötigt man bei Diesel nur 0,1 Kubikmeter, bei Erdgas 90 Kubikmeter und bei Wasserstoff 282 Kubikmeter. Ein Schiff mit einer Ladekapazität von 250.000 Kubikmetern (das entspricht der Kapazität eines großen LNG-Tankers) könnte also 2,6 Millionen Megawattstunden Diesel, 2.800 Megawattstunden Erdgas oder 885 Megawattstunden Wasserstoff transportieren. Bei allen Vorteilen des Wasserstoffs lässt sich nicht leugnen, dass man sich für den Transport etwas einfallen lassen muss.
Verbesserung der Transportfähigkeit durch Kompression
Eine naheliegende Lösung um das Volumen zu reduzieren ist: Kompression. Gase lassen sich – im Gegensatz zu Flüssigkeiten – komprimieren. Um akzeptable Raummaße zu erhalten werden Gase daher in der Regel unter Druck transportiert. In regionalen Erdgasverteilnetzen wird Erdgas bei bis zu 70 Bar verteilt, eine Erdgastankstelle komprimiert das Gas auf bis zu 200 Bar. Ein Erdgasfahrzeug kann auf diese Weise ca. 14 Kilogramm Erdgas mit sich führen (was deutlich weniger ist als das Tankvolumen eines Benzinfahrzeugs von etwa 40 kg). Bei einem Wasserstofffahrzeug muss schon mit bis zu 700 Bar operiert werden, um akzeptable Tankmaße zu erreichen. Das erfordert aufwendige und damit teure Technologie in den Wasserstofftankstellen. Durch die hohen Drücke werden außerdem sehr feste und schwere Tanks benötigt. Der Tank des Wasserstoffahrzeugs Toyota Mirai fasst lediglich 5 Kilogramm Wasserstoff, was für eine Reichweite von 454 Kilometern genügt, wiegt aber stattliche 88 Kilogramm. Das Gewicht des Tanks ist also etwa 18 mal so hoch wie der Inhalt. Bei noch höheren Tankvolumina verbessert sich das Verhältnis zwar etwas, die Kosten von Wasserstofftanks sind aber im Vergleich zu Benzin-, Heizöl- oder Dieseltanks astronomisch. Zur Lösung des Transportproblems Tank-Lkw oder Tank-Zugwaggons einzusetzen ist daher nicht vielversprechend. Eine Wasserstoffverteilung mittels Rohrleitungen wird immer eine erhebliche bessere Wirtschaftlichkeit aufweisen, denn hier lässt sich die Transportkapazität nicht nur durch Erhöhung des Drucks, sondern auch durch eine vergleichsweise kostengünstige Erhöhung des Rohrdurchschnitts verbessern. Nur lassen sich Pipelines nicht – oder nur mit extrem hohen Aufwand – quer durch Ozeane verlegen. Da Wasserstoffimporte auch aus Ländern wie Kanada oder Südafrika geplant sind, muss also ein Weg gefunden werden, Wasserstoff mit Tankschiffen zu transportieren. Durch Kompression alleine lässt sich das Transportproblem dabei nicht lösen.
Das Problem ist der Aggregatzustand
Das eigentliche Problem ist der Aggregatzustand: Wasserstoff und Erdgas sind bei normalen Umgebungstemperaturen gasförmig. Der Siedepunkt, ab dem die Stoffe in einen deutlich platzsparenderen flüssigen Zustand übergehen, liegt bei Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas, bei -161°C. Wasserstoff wird sogar erst bei -253°C flüssig. Zum Vergleich: der absolute Nullpunkt, also die tiefstmögliche Temperatur, die nicht unterschritten werden kann, liegt bei -273°C. Kann man Gase so weit abkühlen? Für Erdgas hat man Möglichkeiten gefunden, so dass ein Seetransport von Erdgas seit einigen Jahren technisch möglich ist: man spricht dann von „Liquefied Natural Gas“ (LNG), also verflüssigtem Erdgas. Der Prozess ist jedoch sehr energieaufwändig, denn die Siedetemperatur von -161°C muss nicht nur einmalig unterschritten, sondern auch über den gesamten Transport hinweg aufrecht erhalten werden, sonst würde sich das Erdgas wieder ausdehnen und die LNG-Tanks sprengen. Bei der Re-Gasifizierung ist wiederum Energie erforderlich, denn Gas, das sich ausdehnt, nimmt Umgebungswärme auf. Um ein Einfrieren des LNG-Terminals zu verhindern, muss dieses also ständig beheizt werden. Dieser Aufwand ist nur gerechtfertigt, weil sich das Volumen von Erdgas bei der Verflüssigung um den Faktor 600 reduziert: für den Tranport einer Megawattstunde Energie benötigt man nicht mehr 90 Kubikmeter (wie im gasförmigen Zustand), sondern nur noch 0,15 Kubikmeter. Das sind immer noch 50% mehr Volumen als bei einem Dieseltransport benötigt werden, wobei Diesel natürlich weder komprimiert noch gekühlt werden muss. Eine Verflüssigung von Wasserstoff wäre grundsätzlich mit den gleichen Verfahren denkbar, jedoch wegen des noch niedrigeren Siedepunkts von -253°C deutlich energieaufwendiger als bei Erdgas, was die Wirtschaftlichkeit negativ beeinflusst.
Die Physik kann man nicht überlisten
Wasserstoff ist das leichteste Element: es trägt im Periodensystem die Ordnungsziffer 1, hat nur ein Proton im Kern und ein Elektron in der Hülle und ist nur 1/12 so schwer wie ein Kohlenstoffatom. Diese physikalischen Parameter bestimmen die Grundeigenschaften von Wasserstoff, insbesondere, dass es bei normalen Umgebungstemperaturen als Gas auftritt und dass es einen hohen Volumenbedarf hat, was für Transportzwecke leider beides sehr problematische Eigenschaften sind. Weil sich die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff nicht ändern lassen bedarf es für einen Wasserstofftransport einen sehr hohen Energieaufwand für Kompression und ggf. Kühlung. Es stellt sich die Frage, ob es das wert ist. Immerhin sind ja Energieträger bekannt, die sich sehr viel einfacher transportieren lassen, insbesondere fossile Energieträger wie Öl oder Erdgas. Vielleicht lässt sich Wasserstoff ja in einen Energieträger umwandeln, der leichter zu transportieren ist, ohne die Vorteile von Wasserstoff dabei zu verlieren.
Bindung von Wasserstoff an Trägerstoffe
Es gibt verschiedene Elemente, die sich für eine Reaktion mit Wasserstoff eignen. Auf den ersten Blick sehr praktisch wäre eine sogenannte Methanisierung, bei der Wasserstoff mit Kohlendioxid zu Methan und Wasser reagiert. Da Methan der Hauptbestandteil von Erdgas ist hätte man mit diesem Verfahren „künstliches Erdgas“ erzeugt, das ohne weitgehende Umrüstung in allen erdgasnutzenden Aggregaten eingesetzt werden und mit den bekannten Transportverfahren (LNG) transportiert werden könnte. Diese Vorteile werden jedoch weitgehend aufgewogen durch die Energieverluste, die mit dieser Reaktion einhergehen, denn bei der Methanisierung wird sehr viel Wärme freigesetzt, die als Abwärmeverluste die Wirtschaftlichkeit negativ beeinflussen. Der Wirkungsgrad der Methanisierung wird mit etwa 80% angegeben, 20% der im Wasserstoff enthaltenen Energie geht also verloren – und am Ende müsste trotzdem noch ein Gas transportiert werden.
Ammoniak
Stattdessen wird häufig eine Reaktion favorisiert, bei der Wasserstoff (H2) mit Stickstoff (N) verbunden wird, um Ammoniak (NH3) herzustellen. Ammoniak ist ein Hauptbestandteil von Dünger und das Verfahren, um Wasserstoff mit Stickstoff zu Ammoniak zu verbinden, wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von den deutschen Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch erfunden, weswegen die Technik unter dem Kürzel „Haber-Bosch-Verfahren“ bekannt ist. Aktuell wird der verwendete Wasserstoff in der Regel aus Erdgas gewonnen, zukünftig könnte grüner Wasserstoff Eingang in die Produktion finden. Das Haber-Bosch-Verfahren erfordert den Einsatz von Energie, die aber nur zu 60% in den Bindungen des Ammoniak gespeichert wird. Auch dieses Verfahren hat also mit Verlusten zu kämpfen, die die Wirtschaftlichkeit beeinflussen. Dafür lässt sich Ammoniak hervorragend transportieren: der Siedepunkt bei Normaldruck liegt bei nur -33°C und schon bei 9 Bar Druck steigt der Siedepunkt auf +20°C – ein Transport in flüssigem Aggregatzustand ist also wenig aufwändig. Ammoniak kann daher als „Transportmedium“ für Wasserstoff dienen.
Nur: was passiert, wenn Ammoniak am Zielort ankommt? Wenn wirklich reiner Wasserstoff benötigt wird, muss das Ammoniak wieder in seine Bestandteile Wasserstoff und Stickstoff zerlegt werden, was wiederum Energieeinsatz erfordert, der die Wirtschaftlichkeit beeinflusst. Die benötigte Technologie, ein sogenannter „Ammoniak-Cracker“, zerlegt das Ammoniak außerdem zwar in seine Bestandteile, Wasserstoff und Stickstoff. Diese liegen dann aber als Gasgemisch (sogenanntes „Formiergas“) vor – reiner Wasserstoff, der für eine Einspeisung in ein europäisches Transportnetz verwendet werden könnte, müsste in einem weiteren Schritt erst aus dem Gasgemisch gefiltert werden. Für viele Anwendungen ist eine „Wiedergewinnung“ des Wasserstoffs gar nicht notwendig, denn auch Ammoniak kann – direkt – als Brennstoff eingesetzt werden. Da die Reaktionsfreudigkeit der Ammoniak-Moleküle jedoch geringer ist als die von Wasserstoff müssen spezielle Bedingungen geschaffen werden. Insbesondere kann eine stetige Verbrennung nicht mit Umgebungsluft erfolgen, weil der Sauerstoffgehalt zu gering ist: es muss reiner Sauerstoff zugeführt werden. Ammoniak kann auch in Brennstoffzellen wiederverstromt werden, muss dafür jedoch vorher durch einen „Ammoniak-Cracker“ aufgespalten werden. Die Brennstoffzellen selbst haben elektrische Wirkungsgrade von 52-57%. Insgesamt lässt sich sagen, dass die unbestreitbaren Transportvorteile von Ammoniak teuer erkauft werden und wesentliche Vorteile des Wasserstoffs geopfert werden müssen. Insbesondere die Energieverluste bei den Umwandlungen beeinflussen die Wirtschaftlichkeit massiv und müssten bei der Erzeugung des grünen Stroms, der zur Wasserstoffherstellung eingesetzt wird, überkompensiert werden.
LOHC
Da der Transport reinen Wasserstoffs sehr aufwendig ist, wenn er nicht über Pipelines und Transportnetze erfolgt, wurden weitere Möglichkeiten gesucht, Wasserstoff an Trägerstoffe anzudocken, die die gewünschten Transporteigenschaften aufweisen. Wichtig bei der Suche waren insbesondere ein flüssiger Aggregatzustand im Normaltemperaturbereich und die Fähigkeit, Wasserstoff aufzunehmen und wieder abzugeben. Neben Ammoniak wurden insbesondere organische Verbindungen als geeignet identifiziert, also Moleküle, die auf Kohlenstoff basieren. Bisher sind das „Toluol/Methylcyclohexan“, „N-Ethylcarbazol“, „Dibenzyltoluol“ und „Benzyltoluol“. Weitere Moleküle sind in der Prüfung. Der Sammelbegriff für geeignete, organischen Verbindungen lautet „Flüssige organische Wasserstoffträger“, auf englisch „Liquid organic hydrogen carriers“, abgekürzt LOHC. Terminals, die LOHC verarbeiten können, sind in Planung. Die Technologie leidet aber unter den gleichen Nachteilen wie Ammoniak: es ist eine zweifache Umwandlung des Wasserstoffs erforderlich. Bei der Bindung von Wasserstoff an LOHC entstehen Energieverluste, bei der Dehydrierung der LOHC entstehen wiederum Energieverluste. Auch diese Technologie muss also die wirtschaftlichen Nachteile der Umwandlungsverluste bei der Erzeugung des grünen Stroms kompensieren.
Fazit
Es gibt verschiedene Wege, Wasserstoff zu transportieren, wobei die Verwendung von Tanks mit großen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist. Es ist daher zu erwarten, dass Wasserstoff wo immer es möglich ist mittels Rohrleitungsnetzen transportiert werden wird. Tankschiffe werden voraussichtlich nur Verwendung finden, sofern es gelingt, die wirtschaftlichen Nachteile dieses Transportweges durch geringe Erzeugungskosten auszugleichen oder falls eine leitungsnetzgebundene Produktion die durch Kaufkraft gedeckte Nachfrage nicht decken kann. Welche Technologien in welchem Maße zum Einsatz kommen werden ist schwer zu prognostizieren, da nicht nur die technischen Wirkungsgrade eine Rolle spielen, sondern insbesondere die komparativen Kosten einer grünen Stromerzeugung in Erzeugungs- und Verwendungsland.
Eines aber steht fest: eine Wasserstoffwirtschaft wird sich in Deutschland und Europa nur etablieren, wenn es ein gut ausgebautes Transport- und Verteilnetz für Wasserstoff gibt. Nur dann sind Projekte zur Wasserstofferzeugung und -nutzung wirtschaftlich darstellbar. Der Transport (und die Lagerung) mittels Tanks, egal ob diese auf Lkw oder Zügen montiert werden, ist für die meisten Projekte nicht zu rechtfertigen. Das führt natürlich (wieder mal) zu einem „Henne-Ei-Problem“: soll erst das Wasserstoffnetz gebaut werden, damit Anreize für Wasserstofferzeugung und -nutzung entstehen? Oder umgekehrt? Auf der einen oder anderen Seite werden sicher eine staatliche Anschubfinanzierung und entsprechende Anreize notwendig sein. Es ist daher nun Aufgabe der Politik, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.
[…] großen Schwierigkeiten zu kämpfen, wie ich in einem anderen Beitrag bereits beschrieben hatte (O Captain! My Captain! Woran der Wasserstoffimport scheitern könnte). Was bei Erdgas also gerade noch so wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, der Transport in […]