Jährlich werden in Deutschland rund 1.016 Mrd. kWh Erdgas verbraucht. Als fossiler Energieträger muss Erdgas schnellstmöglich ersetzt werden, um den Klimawandel aufzuhalten. Einen Beitrag dazu leisten soll grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse aus Wasser gewonnen wird. Aber haben wir überhaupt genügend Wasser, um den nötigen Wasserstoff vor Ort in Deutschland zu erzeugen? Was wäre, wenn der gesamte Erdgasverbrauch durch grünen Wasserstoff ersetzt werden sollte? Wieviel Wasser würde benötigt?
Wasserstoff hat einen Brennwert von 39,39 kWh/kg. Um 1.016 Mrd. kWh Erdgas zu ersetzen werden daher 25.793.3348.566 kg Wasserstoff benötigt, also etwa 25,8 Millionen Tonnen. Wieviel Wasserstoff ist aber in einem Kilogramm Wasser?
Wasser besteht aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom (H2O). Sauerstoff ist 15,88 mal so schwer wie Wasserstoff, der Wasserstoff bildet daher 11,2% der Masse eines Wassermoleküls. Oder, über die Atomgewichte hergeleitet: Atomgewicht Wasserstoff: 1,00784 u, Atomgewicht Sauerstoff: 15,999 u. Atomgewicht eines Wassermoleküls: 18,01 u, davon Wasserstoff: 2,02 u, entspricht 11,2%. Man benötigt also 1/11,2% = 8,93 kg Wasser um 1 kg Wasserstoff herzustellen.
Exkurs – Atomgewicht: Das Gewicht von Atomen könnte auch in Gramm angegeben werden, dann müssten aber etwa 27 Nachkommastellen verwendet werden, um zu unterscheidbaren Werten zu kommen (oder mit negativen Zehnerpotenzen gearbeitet werden). Aus praktischen Erwägungen verwendet man daher die atomare Masseeinheit „u“. Ein „u“ entspricht 1,66056*10-27 Kilogramm. Weil bei dieser konkreten Fragestellung aber nur das Verhältnis von Wasserstoffgewicht zu Sauerstoffgewicht relevant ist, spielt die Einheit keine Rolle.
Um 25,8 Millionen Tonnen Wasserstoff herzustellen bräuchte es also rund neunmal soviel Wasser (231 Tonnen, entsprechend 231 Millionen Kubikmeter). Die öffentliche Wasserversorgung in Deutschland fördert jährlich ca. 5.200 Millionen Kubikmeter Trinkwasser – der für Wasserstoff benötigte, zusätzliche Bedarf umfasst also nur 4,4% dieser Menge. Zu beachten ist außerdem, dass auch in den Bereichen „Energieversorgung“, „Bergbau und verarbeitendes Gewerbe“ und „Landwirtschaft“ Wasser gefördert wird, so dass insgesamt 24.000 Millionen Kubikmeter Wasser in Deutschland verbraucht werden. Der für die Wasserstoffproduktion benötigte, zusätzliche Wasserbedarf umfasste also nur 1,0% dieser Menge. Einfacher ausgedrückt: ein Haushalt, der im Moment 18.000 kWh Erdgas pro Jahr verbraucht, benötigt rund 4 Kubikmeter Wasser, um das Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen. Der tägliche Trinkwasserverbrauch pro Kopf liegt bei 127 Liter, was 46 Kubikmeter pro Jahr entspricht – und in einem Haushalt lebt i.d.R. mehr als eine Person. Am Wasser scheitert die Wasserstoffproduktion in Deutschland daher nicht.
Etwas anders gilt natürlich für den nötigen Ökostrom – ob dieser in ausreichender Menge lokal produziert werden kann, ist aktuell unklar. Aus diesem Grund vertreten viele die These, dass Deutschland Energie, auch in Form von Wasserstoff, importieren müssen wird. Die Produktion von Wasserstoff, so die Theorie, könnte in sonnenreichen Regionen am Mittelmeer und in Afrika deutlich günstiger sein als in Deutschland. Ähnlich wie vor einigen Jahren beim Projekt „Desertec“ möchte man die Sonnenenergie der Wüste nutzen, um Strom zu produzieren. Statt diesen direkt über Stromleitungen nach Europa zu transportieren soll die Energie in Wasserstoff umgewandelt und dann per Pipeline oder Schiff auf den Weg geschickt werden. Dazu braucht es jedoch: Wasser. Und das ist in der Wüste – anders als Sonne – eben nicht im Überfluss verfügbar. Neue Wasserquellen müssten erschlossen werden, beispielsweise durch Entsalzungsanlagen an der Küste. Wenn das auf diese Weise gewonnene Wasser zur Wasserstoffproduktion verwendet wird entstünde jedoch unweigerlich eine Konkurrenz zum Wasserbedarf der einheimischen Bevölkerung, die Frischwasser beispielsweise als Lebensmittel und zur Feldbewässerung benötigt. Letztlich wird man auch hier die „Teller-Tank-Diskussion“ führen – und lösen – müssen: soll man ein Lebensmittel zur Energieproduktion verwenden oder muss es nicht vorrangig als Lebensmittel verwendet werden? Eine gute Antwort auf diese Frage ist möglich, denn die für die Wasserstoffproduktion benötigten Wassergewinnungsanlagen könnten ja auch gleichzeitig die Verfügbarkeit von sauberem Wasser als Lebensmittel erhöhen. Vorausgesetzt, die Betreiber der Anlagen haben einen entsprechenden Anreiz. Dazu beitragen könnten kluge Regelungen auf Seiten der Importländer, beispielsweise durch Vorgaben im Lieferkettengesetz. Die nötige politische Diskussion muss noch geführt werden.
Fazit: es gibt genügend Wasser, um Erdgas vollständig durch aus Elektrolyse gewonnenen Wasserstoff zu ersetzen. Die knappe Ressource „Grünstrom“ könnte aber dazu führen, dass Wasserstoff auch in wasserarmen Regionen produziert wird. Dabei muss sichergestellt werden, dass keine Konkurrenzsituation um das Wasser entsteht, die zu Lasten der lokalen Bevölkerung geht.
[…] Auch beim Einsatz von Anlagen zur künstlichen Photosynthese könnte der „Teller-Tank-Konflikt“ zum Tragen kommen, denn dieser liegt im Grunde immer vor, wenn Flächen oder Rohstoffe genutzt werden, die auch zum Anbau von Nahrungspflanzen benötigt werden. Selbst bei Photovoltaik-Anlagen zur Stromproduktion kann man bis zu einem gewissen Grad von einem „Teller-Tank-Konflikt“ sprechen, wenn die Module auf Flächen montiert werden, die auch für Landwirtschaft geeignet wären. Das ist auch der Grund, warum in Deutschland eine Förderung nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) für Freiflächenanlagen nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird. Photovoltaik-Anlagen, die auf Dächern montiert werden oder auf nicht-landwirtschaftlichen Flächen, beispielsweise in Wüsten, entziehen sich dem Teller-Tank-Konflikt weitgehend. Bei Anlagen zur künstlichen Photosynthese ist aber zu beachten, dass diese nicht nur um Fläche konkurrieren, sondern auch um Wasser, denn dieses wird für den Photosynthese-Prozess zwingend gebraucht. Doch das Wasser-Problem ist lösbar, wie ich bereits in einem anderen Beitrag gezeigt hatte (Wieviel Wasser würde benötigt, um das gesamte Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen?). […]