Der aktuelle Hoffnungsträger: Wasserstoff
„Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft“, diesen Slogan hört man zur Zeit überall. Die Bundesregierung hat eine „Nationale Wasserstoffstrategie“ verkündet und will diese Technologie massiv fördern, der Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) haben die Initiative „H2vorOrt“ ins Leben gerufen, um den Aufbau einer Wasserstoffindustrie zu fördern, die Europäische Union hat ebenfalls eine „Hydrogen Strategy“ beschlossen und jedes Unternehmen in der Energiewirtschaft, das etwas auf sich hält, macht sich Gedanken, wie es Wasserstoff in seine Strategie sinnvoll integrieren kann. Die Suche nach Geschäftsmodellen betrifft die Erzeugung von Wasserstoff mit Hilfe von grünem Strom („grüner Wasserstoff“), den Aufbau einer Verteilinfrastruktur mittels Transport- und Verteilnetzen und gegebenenfalls sogar Tankfahrzeugen, die Speicherung von Wasserstoff in Tanks und unterirdischen Lagerstätten, die Anwendung von Wasserstoff in der Strom- und Wärmeerzeugung sowie als Energiespeicher und die Nutzung als Treibstoff im Straßen-, Schiffs- und Luftverkehr.
Der Hype hat gute Gründe, denn die Wirtschaft muss vollständig dekarbonisiert werden, um die Erderwärmung zu stoppen. Große Teile der Energiewirtschaft basieren aber heute noch auf fossilen Kohlenwasserstoffen wie Kohle, Öl und Erdgas. Chemisch gesehen bestehen diese, wie der Name schon sagt, aus den Elementen Kohlenstoff (\(C\)) und Wasserstoff (\(H\)) in unterschiedlicher Anzahl und Kombination. Erdgas beispielsweise besteht hauptsächlich aus dem Molekül Methan, chemisch \(CH_4\), also aus einem Kohlenstoffatom, das an 4 Wasserstoffatome gebunden ist. Kohlenwasserstoffe haben die nützliche Eigenschaft, bei Überschreiten der Zündtemperatur mit dem Sauerstoff (\(O\)) aus der Luft exotherm, also unter Freisetzung von Wärme, zu reagieren, sprich: zu verbrennen. Die freigesetzte Wärme wird dann als Wärme direkt oder zum Antrieb einer Turbine zur Stromerzeugung genutzt. Beim Verbrennungsprozess werden die Elemente zusammen mit dem Sauerstoff aus der Luft rekombiniert und es entstehen Wasserdampf und Kohlendioxid. Die Reaktionsgleichung für Methan sieht wie folgt aus:
\[CH_4 + 2O_2 \rightarrow CO_2 + 2H_2O\]
Aus einem Methan-Molekül und 2 Sauerstoff-Molekülen entstehen ein Kohlendioxid-Molekül und 2 Wasser-Moleküle. Andere Kohlenwasserstoffe wie Kohle und Öl bestehen aus anderen Molekülen, die jedoch immer aus den Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff zusammengesetzt sind. Der Reaktionsprozess ist daher ähnlich zu dem von Methan, nur dass jeweils eine andere Anzahl von Atomen rekombiniert wird. Endprodukte der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen sind immer mindestens Kohlendioxid und Wasser, wobei das Kohlendioxid als Treibhausgas zur Erderwärmung beiträgt, weil es den Kohlendioxid-Anteil der Atmosphäre erhöht. Häufig entstehen bei der Verbrennung auch noch andere Abgase, zum Beispiel Schwefeldioxid, weil insbesondere Kohle und Öl weitere Elemente beinhalten, die bei der Verbrennung freigesetzt werden.
Zur Dekarbonisierung wird ein Energieträger benötigt, der bei der Verbrennung kein zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre einträgt. Wasserstoff besteht chemisch lediglich aus zwei Wasserstoff-Atomen: \(H_2\). Wasserstoff reagiert – genau wie Methan – mit dem Sauerstoff aus der Luft exotherm, verbrennt also bei Überschreiten der Zündtemperatur. Die Reaktionsgleichung ist:
\[2H_2 + O_2 \rightarrow 2H_2O\]
Jeweils zwei Wasserstoffmoleküle reagieren mit einem Sauerstoff-Molekül zu einem Wassermolekül. Kohlenstoff ist an der Reaktion nicht beteiligt, so dass auch kein Kohlendioxid entstehen kann. Eine saubere, kohlendioxidfreie, klimafreundliche Verbrennung und daher – vermeintlich – die Lösung unserer Probleme. Kein Wunder, dass viel Geld, Zeit und Energie in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gesteckt wird.
Nachteile des Wasserstoffs
Vor lauter Begeisterung über diesen sauberen Energieträger werden aber einige Nachteile des Wasserstoffs häufig etwas kleingeredet, wobei der offensichtlichste ist, dass es auf der Erde nicht in Reinform existiert. Irdische Wasserstoffvorkommen sind immer an Sauerstoff gebunden – sind also Wasser (\(H_2O\)). Um Wasserstoff zu nutzen muss man Wasserstoff erst (unter Energieeinsatz) vom Sauerstoff abtrennen, was ein sehr wesentlicher Unterschied zu fossilen Energieträgern ist, die man einfach nur aus der Erde pumpen oder graben musste. Der Mangel an reinem Wasserstoff auf der Erde ist kosmisch gesehen eigentlich ein Treppenwitz, denn 90 Prozent aller Atome im Universum sind Wasserstoff. Aber da Wasserstoff sehr reaktionsfreudig ist, haben alle Wasserstoffatome auf der Erde bereit mit Sauerstoff zu Wasser reagiert…
Der zweite wesentliche Nachteil von Wasserstoff ist, das es bei fast allen Umgebungstemperaturen ein Gas ist. Erst bei einer Temperatur von -252,9 Grad Celsius wechselt Wasserstoff in den flüssigen Aggregatzustand. Zur Einordnung: der absolute Nullpunkt (Null Kelvin) liegt bei -273,15 Grad Celsius. Das führt zu erhöhtem Aufwand bei der Lagerung und dem Transport im Vergleich zu Kohlenwasserstoffen. Der Reihe nach von simpel zu schwierig: die Lagerung von Kohle ist denkbar einfach: man schüttet sie einfach auf einen Haufen – unter freiem Himmel. Zum Transport schaufelt man sie in einen Eisenbahnwaggon und zur Verbrennung wirft man sie auf ein Förderband, das sie in den Kraftwerkskessel transportiert. Lagerung und Transport von Erdöl sind nicht wesentlich komplizierter: man benötigt Tanks, die durch einen einfachen, oben liegenden Deckel verschlossen sind und lediglich das Gewicht ihres Inhalts tragen können müssen. Zum Transport pumpt man die Flüssigkeit in eine Leitung oder befestigt die Tanks auf Fahrzeugen bzw. Schiffen.
Beim Transport von Gasen hingegen muss man Lösungen finden, um mit der üblicherweise geringen volumetrischen Energiedichte umzugehen. Das bedeutet, dass das Verhältnis von Platzbedarf zu Energiemenge bei Gasen im Vergleich zu Feststoffen bzw. Flüssigkeiten ungünstig ist. Ein Kilogramm Wasserstoff hat einen Brennwert von 39,4 Kilowattstunden – das ist etwa viermal so viel wie Erdöl oder Erdgas. Bei Atmosphärendruck nimmt ein Kilogramm Wasserstoff jedoch 11 Kubikmeter Raum ein, während ein Kilogramm Erdöl nur 0,001 Kubikmeter braucht. Ein Gastanker für verflüssigtes Erdgas kann etwa 125.000 Kubikmeter transportieren, bei Atmosphärendruck könnte also eine Energiemenge von lediglich 443 Megawattstunden – etwa soviel, wie 22 Haushalte in einem Jahr verbrauchen – aufgenommen werden. Zur Verbesserung dieses ungünstigen Verhältnisses von Raum zu Energie gibt es zwei Möglichkeiten: Kompression des Gases oder Verflüssigung des Gases durch Abkühlen. Durch Kompression von Wasserstoff auf 700 bar lässt sich die Dichte auf von 0,09 auf 42 Kilogramm pro Kubikmeter erhöhen, so dass ein LNG-Tanker den Energiebedarf von etwa 10.000 Haushalten transportieren könnte. Das klingt wie eine starke Verbesserung, für den Energiebedarf einer Stadt wie Hamburg, die etwa 1 Million Haushalte hat, wären damit aber bereits 100 Tankerladungen pro Jahr notwendig. Für ganz Deutschland mit etwa 40 Millionen Haushalten wären ca. 3.800 Tankerladungen notwendig, ein enormer Logistikaufwand. Durch Abkühlen eines Gases unter seinen Siedepunkt lässt es sich verflüssigen, was den Raumbedarf überproportional verringert: bei Wasserstoff erhöht sich die Dichte auf 71 Kilogramm pro Kubikmeter, so dass ein Tanker 17.000 Haushalte versorgen könnte. Die Verflüssigung von Wasserstoff ist jedoch aufgrund des sehr niedrigen Siedepunktes technisch extrem aufwendig und andere Transportverfahren haben ebenfalls mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, wie ich in einem anderen Beitrag bereits beschrieben hatte (O Captain! My Captain! Woran der Wasserstoffimport scheitern könnte). Was bei Erdgas also gerade noch so wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, der Transport in verflüssigter Form, könnte bei Wasserstoff ein „Show Stopper“ sein.
Die Probleme beim Transport überschneiden sich mit den Problemen bei der Anwendung, denn zur Anwendung muss der Wasserstoff dort sein, wo er benötigt wird. Und dieser Ort ist im Falle des Einsatzes als Kraftstoff in Fahrzeugen, Schiffen oder Flugzeugen logischerweise mobil. Der Energieträger muss also nicht nur zum Einsatzort transportiert werden, sondern auch mit dem Einsatzort. Damit stellt sich wieder die Frage, wie man mit dem hohen Raumbedarf umgeht. Bei Fahrzeugen, die es bereits serienreif gibt, wird dieses Problem durch Kompression gelöst: der Tank des Wasserstoffautos Toyota Mirai kann einem Druck von 700 bar widerstehen. Für einen solch hohen Druck benötigt man einen stabilen Tank und daher wiegt dieser bei einem Fassungsvermögen 5,6 Kilogramm stattliche 87,5 Kilogramm. Das Gewichtsverhältnis von Tank zu Inhalt liegt damit bei 16 zu 1! Das Volumenproblem von Wasserstoff wurde also durch ein Gewichtsproblem im Tankbereich „gelöst“. Darüber hinaus sind Gas-Zapfstellen, die 700 bar Druck aufbauen, technisch sehr aufwendig und müssen mit dem Problem kämpfen, dass Gas sich durch Kompression erwärmt und durch Ausdehnung (wie beim Einbringen in einen leeren Tank) abkühlt. Es kommt durchaus vor, dass die Zapfpistole einer Wasserstofftankstelle am Ende des Tankvorgangs festgefroren ist… Die Physik lässt sich nicht überlisten und so muss die Lösung des Raumproblems mit allerlei anderen Problemen, insbesondere stabilen, schweren Tanks und aufwändigen Tankverfahren erkauft werden. Das Tank- und Lagerproblem ist bei Wasserstoff insgesamt größer als bei fossilen Kraftstoffen, da letztere bereits von der Natur „gelagert“ worden sind. Für Wasserstoff hingegen gibt es auf der Erde keine natürlichen Lagerstätten. Für jedes Kilogramm Wasserstoff, das erzeugt wird, muss also erst noch ein Tank gebaut oder ein unterirdisches Lager zugänglich gemacht werden.
Klimaneutrale Alternativen zu Wasserstoff
Wenn Wasserstoff trotz seiner unbestreitbaren Vorteile auch solche großen Nachteile mit sich bringt stellt sich doch die Frage, ob es nicht andere, klimaneutrale Energieträger gibt, die einfacher im Umgang sind. Die Antwort liegt auf der Hand, denn solche einfach zu handhabenden Energieträger kennen wir ja schon: Biomasse! Die notwendige Abkehr von fossilen Energieträgern ist nicht dadurch begründet, dass bei ihrer Verbrennung Kohlendioxid freigesetzt wird. Das Problem ist, dass dieses Kohlendioxid zusätzlich in die Erdatmosphäre eingebracht wird. Das „fossil“ ist also das Problem, nicht der Kohlenstoff. Die Oxidation bzw. Verbrennung von Stoffen, die das freigesetzte \(CO_2\) nur kurz zuvor aus der Erdatmosphäre entnommen haben, trägt nicht zur Erderwärmung bei und ist daher völlig unbedenklich. Das ist auch der Grund, warum das bei der Atmung von Lebewesen freigesetzte Kohlendioxid klimaneutral ist – ebenso wie das aus Verbrennung von Biomasse.
Lebewesen, auch der Mensch, nutzen ebenfalls Kohlenwasserstoffe zur Energiegewinnung. Diese enthalten jedoch zusätzlich zu Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen auch noch Sauerstoffatome und tragen daher die Bezeichnung „Kohlenhydrate“. Das einfachste Kohlenhydrat ist Glukose, also Zucker, der mit der chemischen Formel \(C_6H_{12}O_6\) beschrieben wird. In den Zellen eines Lebewesens findet ein Oxidationsprozess statt, bei dem sechs Sauerstoffmoleküle mit der Glukose unter Energiefreisetzung reagieren:
\[C_6H_{12}O_6 + 6O_2 \rightarrow 6 CO_2 + 6 H_2O\]
Die Endprodukte dieser Reaktion sind also identisch zur Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas: es entstehen Kohlendioxid und Wasser! Die Nahrungsquelle „Kohlenhydrate“ ist natürlich nicht fossil, sondern stammt aus einer frisch angebauten und geernteten Pflanze. Das Kohlendioxid ist klimaneutral, weil es nur kurz zuvor beim Wachstumsprozess der verspeisten Pflanze aus der Atmosphäre entnommen worden ist. Diese wiederum hat den Kohlenstoff mit einem Photosynthese-Prozess aus der Atmosphäre gewonnen und mit Hilfe von Wasser aus dem Erdreich zu Biomasse geformt. Die Reaktionsgleichung der Photosynthese ist:
\[6CO_2 + 12H_2O \rightarrow C_6H_{12}O_6 + 6 O_2 + 6 H_2O\]
Auch fossile Energieträger sind – vor sehr langer Zeit – durch Photosynthese gebildet worden. Im Rahmen der Fossilisierung fand jedoch eine Abtrennung von Sauerstoff- und Wasserstoff statt, was den Kohlenstoffanteil erhöht und die Stoffeigenschaften verändert hat. So beträgt der Brennwert von Glukose nur 4,4 Kilowattstunden pro Kilogramm, während Braun- bzw. Steinkohlekoks bereits 8,3 Kilowattstunden pro Kilogramm aufweisen. Ähnlich wie bei Glukose ist der Energiegehalt von Holzpellets (4,9 Kilowattstunden pro Kilogramm) oder Torf (4,2 Kilowattstunden pro Kilogramm). Aus Biomasse lässt sich jedoch durch Fermentation und Destillation Ethanol mit einem Energiegehalt von 8,3 Kilowattstunden pro Kilogramm gewinnen. Dieser Energiegehalt liegt immer noch deutlich unter dem von Mineralöldiesel (12,6 Kilowattstunden pro Kilogramm), erst recht unter dem von Wasserstoff (39,4 Kilowattstunden pro Kilogramm). Bioethanol verbrennt aber klimaneutral und lässt sich so einfach transportieren wie Erdöl, noch dazu mit bereits bestehender Infrastruktur!
Das Teller-Tank-Problem und die Flächeneffizienz
Auch wenn der Brennwert geringer als bei fossilen Energieträgern ist: Pflanzen können prinzipiell ein alternativer Energieträger sein. Diese Idee ist nicht neu. So ist bereits seit mindestens 2005 vom „Landwirt als Energiewirt“ die Rede und die flächendeckende Einführung des Sprits mit dem Kürzel „E10“, dem pflanzliche Kraftstoffanteile von bis zu 10% beigemischt wurden, im Jahre 2011 ist vielen noch lebhaft in Erinnerung. Kraft- und Brennstoffe auf pflanzlicher Basis bringen jedoch viele Probleme mit sich, die bis heute letztlich ungelöst sind, allen voran das „Teller-Tank-Problem“: in der Regel lassen sich Anbauflächen nur für die Energiepflanzenproduktion oder für die Lebensmittelproduktion nutzen. Eine verstärkte Nutzung von Pflanzen als Energieträger würde also zu steigenden Lebensmittelpreisen und in einigen Teilen der Welt zu einer Ausweitung von Hunger führen. Zudem führt der vermehrte Anbau von Energiepflanzen wie Mais, der in Biogasanlagen Verwendung findet, zu einer ökologischen Verarmung der Landschaft mit drastischen Auswirkungen beispielsweise auf Insektenpopulationen, aber auch auf die sonstige Fauna. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es zum weiteren Ausbau der Energiepflanzenproduktion keine größeren politischen Initiativen mehr.
Ein selten diskutierter Grund gegen den Anbau von Energiepflanzen, der aber implizit eine große Rolle spielt, ist der haarsträubend geringe Wirkungsgrad von pflanzlicher Photosynthese. Durchschnittlich treffen an einem wolkenfreien Tag ca. 1.000 Watt solare Strahlungsenergie pro Quadratmeter auf dem Erdboden auf. Pflanzen wandeln jedoch nur ca. 0,5-1,5% davon um! Es wird also vergleichsweise viel Fläche benötigt, um die solare Strahlungsenergie mittels Photosynthese einzufangen und zu nutzbarer Biomasse umzuwandeln. Pro Quadratmeter können durch pflanzliche Photosynthese nur ca. 7 Kilowattstunden pro Jahr umgewandelt werden (zum Vergleich: Photovoltaik-Module ermöglichen eine Ausbeute von ca. 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr). Dass Energiegewinnung auf diese Weise in großem Maßstab nicht funktioniert zeigt schon die Geschichte der industriellen Revolution in England: anfangs wurden die Dampfmaschinen noch mit Holz angetrieben. Sehr schnell jedoch waren die Waldbestände verbraucht und man musste auf Kohle ausweichen. Die Energie wurde (und wird) einfach schneller verbraucht, als sie durch Wiederaufforstung neu gewonnen werden konnte.
Bei der Nutzung des Sonnenlichts in einer Photovoltaik-Anlage werden immerhin ca. 18% zur Erzeugung von Strom genutzt – diese haben also eine deutlich höhere Flächeneffizienz. Selbst mit diesem geringen Wirkungsgrad müssten nur relativ kleine Flächen mit Modulen bedeckt werden, um den weltweiten Strombedarf zu decken. Zu hoher Bekanntheit ist in diesem Zusammenhang eine Grafik aus der Diplomarbeit, die im Jahre 2005 an der TU Braunschweig eingereicht worden ist, gelangt. Sie zeigt, welchen Flächen in Nordafrika mit Photovoltaikmodulen bedeckt werden müssten, um den Strombedarf Deutschlands, der EU respektive der Welt zu erzeugen:
Den Strombedarf Europas mittels Photovoltaik in der Wüste Nordafrikas zu decken wird durch die Transportproblematik erschwert: eine leitungsgebundene Versorgung ist kostenintensiv, störungs- bzw. manipulationsanfällig und durch Leitungswiderstand hervorgerufene Transportverluste ineffizient. Ob ein Transfer in Form von Wasserstoff praktikabler und wirtschaftlicher ist, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus scheint auch in Afrika nachts keine Sonne…
Herstellung von Kraftstoffen mit Strom: eFuels
Zur Lösung des Transport- und Speicherproblems wird teilweise auf Kraftstoffe gesetzt, die mit Hilfe von klimaneutralem Strom erzeugt werden. Solche Kraftstoffe laufen unter den Bezeichnungen „Synthetic Fuel“ oder „e-Fuel“ (in verschiedensten Schreibweisen). Sie werden in der Regel in einem zweistufigen Verfahren erzeugt: zunächst wird mit grünem Strom Wasserstoff gewonnen. Dann wird dem Wasserstoff in einem zweiten Schritt Kohlendioxid hinzugefügt, so dass ein Kohlenwasserstoff entsteht: künstlicher Kraftstoff. Dieses Verfahren ist im Vergleich zur direkten Nutzung von Wasserstoff bzw. Strom deutlich ineffizienter und daher unwirtschaftlicher. Für dieses Verfahren spricht im Wesentlichen, dass damit das Transportproblem von Wasserstoff gelöst werden könnte. Außerdem können eFuels in bestehenden Aggregaten und Motoren, die für fossile Energieträger konzipiert worden sind, ohne große Umrüstungen genutzt werden. Trotz der großen Wirtschaftlichkeitslücke von e-Fuels gibt es daher prominente Befürworter dieser Technologie insbesondere im Automobilbereich, allen voran den Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Oliver Blume. Ein großflächiger Einsatz von eFuels, die aus Wasserstoff gewonnen wurden, zeichnet sich jedoch nicht ab, weil im Automobilbereich derzeit Elektromobilität favorisiert wird und im Übrigen eine Direktnutzung von Wasserstoff als zielführend angesehen wird.
Die Erzeugung von elektrischem Strom mittels Photovoltaik ist also derzeit die effizienteste Methode, solare Strahlungsenergie als regenerative Primärenergiequelle zu nutzen. Elektrizität wiederum lässt sich am effizientesten in Wasserstoff umwandeln. Die Erzeugung von künstlichen Kohlenwasserstoffen mittels Strom erfordert – im Vergleich zur Wasserstoffproduktion – zusätzliche Bearbeitungsschritte, die die Wirtschaftlichkeit massiv negativ beeinflussen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man diese Verluste in Kauf nimmt, um das nicht triviale Transportproblem von Wasserstoff zu lösen. Immerhin liegen die Grenzkosten von grünem Strom nahe Null, so dass Umwandlungsverluste ebenfalls Grenzkosten nahe Null haben. Außerdem haben e-Fuels den großen Vorteil, keine grundsätzlich neue Infrastruktur zu benötigen: ein Erdöltanker könnte auch e-Fuel transportieren. Im Rahmen einer Vollkostenkalkulation sind die meisten Anlagen zur e-Fuel-Produktion nach heutigem Stand jedoch nicht „im Geld“, so dass derzeit nicht viel für einen Erfolg dieser Treibstoffe spricht.
Synthetische Kraftstoffe ohne Strom: Künstliche Photosynthese
Was aber wäre, wenn der Zwischenschritt „Wasserstoffproduktion mittels Strom“ wegfiele? Pflanzen produzieren schließlich auch nicht erst Strom und dann Glukose. Sie produzieren direkt Glukose im Photosyntheseprozess. Dieser ist zwar – wie beschrieben – haarsträubend ineffizient mit einem Wirkungsgrad von nur etwa einem Prozent. Aber vielleicht ließe sich das verbessern?
Das Stichwort lautet „künstliche Photosynthese“ und die Idee existiert seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Unter dem Stichwort wird nicht nur der in Pflanzen ablaufende Prozess der Glukosesynthese bezeichnet, sondern auch andere Reaktionen, die unter Verwendung von Sonnenlicht ablaufen, beispielsweise die sogenannte „photokatalytische Wasserspaltung“, bei der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird und die in der natürlichen Photosynthese ein Zwischenprozess ist. Mit diesem Teilprozess könnte Wasserstoff erzeugt werden, ohne dass erst Strom gewonnen werden müsste.
Die Technologie, mit der ein künstlicher Photosyntheseprozess durchgeführt werden kann, wurde bereits entwickelt. Wie so oft bei neuen technischen Verfahren scheidet ein Einsatz im industriellen Maßstab jedoch noch aus, weil diese nicht effizient und robust genug sind und daher nicht wirtschaftlich. Das muss aber nicht so bleiben: durch technischen Fortschritt könnte künstliche Photosynthese durchaus rentabel werden. In diesem Fall gäbe es zwei denkbare Anwendungen: zum Einen könnte durch Photosynthese direkt Wasserstoff gewonnen werden, ohne zunächst Strom zu erzeugen. Zum anderen könnte mit künstlicher Photosynthese auch „künstliche“ Biomasse erzeugt werden, auf dem gleichen Weg, der auch in Pflanzen abläuft. Diese Biomasse kann genau so als Energieträger genutzt werden wie echte Pflanzen, also zum Beispiel zu Biosprit vergoren und destilliert werden (chemisch: Ethanol, \(C_2H_6O\)). Die Biomasse könnte auch zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt werden durch eine „künstliche Fossilisierung“. Dieser Prozess wird als Pyrolyse bezeichnet und kommt beispielsweise bei Raffinerieprozessen zur Herstellung von Kunststoffen aus Erdöl zum Einsatz.
Auch beim Einsatz von Anlagen zur künstlichen Photosynthese könnte der „Teller-Tank-Konflikt“ zum Tragen kommen, denn dieser liegt im Grunde immer vor, wenn Flächen oder Rohstoffe genutzt werden, die auch zum Anbau von Nahrungspflanzen benötigt werden. Selbst bei Photovoltaik-Anlagen zur Stromproduktion kann man bis zu einem gewissen Grad von einem „Teller-Tank-Konflikt“ sprechen, wenn die Module auf Flächen montiert werden, die auch für Landwirtschaft geeignet wären. Das ist auch der Grund, warum in Deutschland eine Förderung nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) für Freiflächenanlagen nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird. Photovoltaik-Anlagen, die auf Dächern montiert werden oder auf nicht-landwirtschaftlichen Flächen, beispielsweise in Wüsten, entziehen sich dem Teller-Tank-Konflikt weitgehend. Bei Anlagen zur künstlichen Photosynthese ist aber zu beachten, dass diese nicht nur um Fläche konkurrieren, sondern auch um Wasser, denn dieses wird für den Photosynthese-Prozess zwingend gebraucht. Doch das Wasser-Problem ist lösbar, wie ich bereits in einem anderen Beitrag gezeigt hatte (Wieviel Wasser würde benötigt, um das gesamte Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen?).
Künstliche Photosynthese – wo stehen wir heute?
Künstliche Photosynthese befindet sich noch weitgehend auf der Ebene der Grundlagenforschung. Das Standardwerk von Volker Quaschning, „Erneuerbare Energien und Klimaschutz“ erwähnt künstliche Photosynthese nicht einmal – vermutlich, weil diese Technologie sich noch nicht annähernd in einer Anwendungsphase befindet. Verlässliche Aussagen zur Realisierbarkeit und vor allem zur Wirtschaftlichkeit dieser Technologie – im Vergleich zu anderen Technologien, beispielsweise der Wasserstoffherstellung mit Strom aus Photovoltaik – sind daher derzeit kaum möglich. Im Allgemeinen wird das Potential dieser Technologie jedoch als sehr vielversprechend eingeschätzt.
Das gilt umso mehr, weil künstliche Photosynthese mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt: es kann ein klimaneutraler Energieträger erzeugt werden, der die Transport- und Lagerprobleme von Wasserstoff vermeidet und noch dazu weitgehend mit bestehender Infrastruktur genutzt und verarbeitet werden kann. Darüber hinaus ist künstliche Photosynthese automatisch eine Technologie zum Entziehen von \(CO_2\) aus der Atmosphäre, was im Allgemeinen unter dem Kürzel „Carbon Capture and Storage“ (CCS) diskutiert wird. Die bisherigen Ansätze für CCS-Technologien leiden an geringer Effizienz und Akzeptanz. Viel schlimmer aber ist, dass sich mit dem Abtrennen und Lagern von Kohlendioxid für sich genommen kein Geld verdienen lässt. Und ohne Business Case gibt es nun mal keine Investitionen – jedenfalls nicht ohne externe Anreize oder Zwang. Mit der Erzeugung synthetischer Kraftstoffe via künstlicher Photosynthese hingegen lässt sich potentiell sehr viel Geld verdienen. Eine dauerhafte Speicherung des der Atmosphäre entzogenen Kohlendioxid ließe sich hier recht einfach und vergleichsweise kostengünstig erzwingen, beispielsweise indem Produzenten verpflichtet werden, einen Promillesatz der Produktion in alte Erdöllagerstätten einzubringen.
Und so ist es durchaus möglich, dass künstliche Photosynthese in nur wenigen Jahren zur rasanten Wachstumsbranche wird und damit im besten Sinne eine disruptive Technologie. Empfehlungen zur Förderung des Ansatzes wurden jedenfalls schon 2018 in einer sehr lesenswerte Zusammenfassung zum aktuellen Stand der Forschung von der „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. – Nationale Akademie der Wissenschaften“ erstellt.
Die Zeit wird zeigen, ob künstliche Photosynthese hält, was sie verspricht.