Dynamische Stromtarife gelten als moderne Antwort auf die Herausforderungen der Energiewende. Wer Strom verbraucht, wenn er besonders günstig ist, kann Geld sparen – theoretisch.
In der Praxis sieht das anders aus. Denn das Modell basiert auf einer unrealistischen Annahme: das Stromkunden bereit sind, sich regelmäßig mit Strompreisen auseinanderzusetzen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen.
Doch genau das wollen die wenigsten. Wenn nicht einmal 20 Prozent der Deutschen Aktien besitzen – und die meisten davon sich auch nicht täglich mit Kursentwicklungen beschäftigen –, warum sollten sich plötzlich Millionen Menschen für kurzfristige Strompreisschwankungen interessieren? Die Erwartung, dass Familien ihr Waschverhalten, ihre Essenszeiten oder den Fernsehabend nach Strompreissignalen organisieren, ist realitätsfremd. Die Menschen wünschen sich Verlässlichkeit, Planbarkeit und Einfachheit – keine Börsensimulation für den Stromzähler.
Selbst für diejenigen, die bereit wären, sich darauf einzulassen, ist der wirtschaftliche Anreiz meist enttäuschend. Die möglichen Einsparungen bewegen sich häufig im Bereich von wenigen Euro pro Monat – und das auch nur dann, wenn überhaupt steuerbare Großverbraucher wie eine Wärmepumpe oder ein E-Auto vorhanden sind. Ohne diese Flexibilitätsoptionen ist der Aufwand schlicht größer als der Nutzen.
Natürlich gibt es technische Hilfen. Home Energy Management Systeme (HEMS) können bestimmte Geräte automatisiert steuern. Aber auch sie stoßen schnell an ihre Grenzen: Fernsehen, Kochen, Wäschewaschen – all das bleibt manuell, spontan und durch Alltag und Bedürfnisse getrieben. Selbst ein Batteriespeicher, der Strom günstig speichert und später bereitstellt, löst das Problem nicht: Er ist teuer in der Anschaffung, verursacht Verluste beim Laden und Entladen – und selbst der billigste Strom aus dem Netz bleibt durch Steuern, Umlagen und Netzentgelte vergleichsweise teuer.
Was außerdem oft übersehen wird: Auch klassische Stromtarife enthalten längst die günstigen Zeiten – nur eben gebündelt. Stromversorger kalkulieren ihre Preise auf Basis eines durchschnittlichen Verbrauchsprofils. Das bedeutet: Die Kunden profitieren bereits von den niedrigen Preisen an der Strombörse, ohne selbst handeln zu müssen. Der Arbeitspreis eines normalen Haushaltsstromtarifs ist keine starre Zahl, sondern das Ergebnis einer Mischkalkulation aus günstigen und teuren Zeiten – verlässlich, planbar und ohne aktives Eingreifen der Kunden.
Dynamische Tarife hingegen lagern diese Verantwortung an die Nutzer aus. Und genau deshalb werden sie – mit wenigen Ausnahmen – scheitern. Weil sie an den Bedürfnissen des Massenmarkts vorbeigehen. Wer die Energiewende wirklich voranbringen will, sollte sie einfacher machen – nicht komplizierter.
Wenn dynamische Stromtarife in fünf Jahren „der letzte Schrei“ sind korrigiere ich mich gerne. Aber ich glaube nicht daran.