China und die Kohle

Wenn ich bei LinkedIn etwas über Erneuerbare schreibe, kommt oft der Hinweis, wir sollten uns ein Beispiel an China nehmen. Dort würde der Ausbau der Erneuerbaren viel konsequenter vorangetrieben als bei uns. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Denn tatsächlich ist China ein Land der zwei Gesichter. Ja, es treibt den Ausbau der Erneuerbaren mit einem Wahnsinnstempo voran. Im 2023 beispielsweise wurden in China Solaranlagen mit einer Leistung von rund 210 Gigawatt neu installiert. Zum Vergleich: in Deutschland wurden 14 Gigawatt zugebaut – und das gilt hierzulande als Rekord! Insgesamt sind in Deutschland nach mehr als 20 Jahren EEG-Förderung 82 Gigawatt PV-Leistung in Betrieb…

Aber China hat auch 1,4 Milliarden Einwohner. Und Deutschland nur 84 Millionen. Pro Einwohner hat Deutschland also in 2023 sogar rund 11 Prozent mehr Leistung zugebaut als China.

Das Problem ist also gar nicht die Zubaurate an Erneuerbaren. Das Problem ist, dass China massiv neue Kohlekraftwerke errichtet. Im Jahr 2023 genehmigte China mindestens 106 Gigawatt (GW) an Kohlekraftwerkskapazität und begann mit dem Bau von 70 GW. Dies entspricht der Genehmigung von etwa zwei neuen Kohlekraftwerken pro Woche!

Es werden auch Kraftwerke stillgelegt, netto gibt es aber einen Zuwachs an Kohlekraftwerkskapazität. Die neu genehmigte Kapazität in China in den Jahren 2022 und 2023 war viermal so hoch wie im Zeitraum von 2016 bis 2020.

Der Grund dafür sind – Dunkelflauten! Denn das Problem der Erneuerbaren in China ist das gleiche wie bei uns: die Sonne scheint nicht immer und der Wind weht nicht stetig. Zur Überbrückung braucht man Kernkraft, Kohle oder Wasserstoff. China setzt auf alles gleichzeitig.

Stichwort Kernkraft: in den letzten zehn Jahren hat China seine Kernkraftwerksleistung um über 34 GW erhöht und damit fast verdreifacht. Derzeit befinden sich in China weitere 23 Reaktoren mit einer Kapazität von 24 GW im Bau.

Gleichzeitig hat China sich das Ziel gesetzt, bis 2030 eine Produktionskapazität von 100 GW grünem Wasserstoff zu erreichen.

Kurzfristig aber setzt China voll auf Kohle, um eine Gefährdung der Versorgungssicherheit und steigende Energiepreise zu vermeiden. Es nimmt dabei in Kauf, dass die CO2-Emissionen erst ab 2030 anfangen werden, zu sinken. Wenn alles klappt.

Ist China also ein Vorbild – oder nicht? In Deutschland wollen wir „idealerweise“ 2030 aus der Kohle aussteigen, schaffen das aber voraussichtlich nicht. In China will man ab 2030 seine CO2-Emissionen senken, Kohlekraftwerke aber erst abschalten, wenn es klimaneutralen Ersatz gibt. Im Ergebnis sind unsere Ansätze gar nicht so verschieden.

Ein Vorbild ist China trotzdem eher nicht – immerhin sinken die CO2-Emissionen bei uns schon seit Jahren. Aber vielleicht sollten wir etwas realistischer bei unseren Zielen sein. Immer neue Wolkenkuckucksheime zu erfinden, die man doch nicht realisieren kann, hilft ja auch keinem weiter…

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