Strommarkt im Casinomodus: Warum der Wettbewerb oft reine Glückssache ist – und was Affen damit zu tun haben

Der Strommarkt gleicht zunehmend einem Glücksspiel. Stadtwerke tragen unfreiwillig dazu bei – auch wenn die Alternative kaum besser wäre.

Seit der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland im Jahre 1998 ist ein harter Wettbewerb um die Kunden entstanden. In 2022 buhlten laut Monitoringbericht der Bundesnetzagentur 136 Anbieter um Haushaltskunden. Unter Einbezug von Gewerbe- und Industriekunden gab es sogar 1.370 Stromlieferanten.

Strom ist ein genormtes Produkt, es bieten also alle Anbieter das Gleiche an. Damit konzentriert sich der Wettbewerb auf den Preis, denn wenn die Leistung identisch ist, kann man das berühmte Preis-Leistungs-Verhältnis kürzen.

Viele Anbieter versuchen, ihr Stromangebot zu individualisieren, um aus der Masse herauszustechen. Eigentlich kann man aber höchstens zwischen Grünstrom und Graustrom unterscheiden. Alle weiteren “Produkteigenschaften” betreffen eher Nebenkriegsschauplätze wie den Vertragsschluss oder die Abrechnung. Dazu zählen ein gutes Kundenportal oder eine Telefonhotline, die bei Vertragsschluss (oder bei Vertragskündigung) nützlich sind, von den meisten Kunden aber gar nicht gebraucht werden.

Es bleibt dabei: Strom ist ein genormtes Produkt, so dass die Wahl zwischen den Anbietern in der Regel auf die Suche nach dem günstigsten Preis hinausläuft. Das wäre im Prinzip auch völlig in Ordnung, denn natürlich ist das gelebte Marktwirtschaft. Möge der günstigste Anbieter gewinnen!

Allerdings haben Märkte, auf denen genormte Produkte gehandelt werden, einige Besonderheiten. Und der günstigste Anbieter ist häufig nicht der beste, sondern einfach der mit dem aktuell größten Glück…

Besonderheiten von Märkten für Handelswaren

Man nennt genormte Produkte auch “Handelswaren”, englisch “Commodities” und es gibt sie in vielen Bereichen. In der Energiewirtschaft zählen neben Strom auch Gas und Mineralölprodukte wie Benzin, Diesel oder Heizöl dazu. Beispiele aus anderen Sektoren sind Mehl, Zucker, Nudeln, Stahl, Zement, Batterien, Stromkabel, Kunststoffgranulat, Streichhölzer oder Pharmazeutika. Diese Produkte haben genormte Eigenschaften, teils gesetzlich vorgegeben, teils durch DIN-Normen beschrieben oder durch Handelsbräuche.

Bei jedem dieser Produkte lässt sich beobachten, dass Hersteller versuchen, ihr Produkt zu individualisieren, um höhere Preise durchsetzen zu können. Der Erfolg ist meist durchwachsen. So greifen viele Verbraucher trotz Marketing-Aufwand der Markenhersteller zu Discounter-Nudeln oder Billig-Batterien, weil sie keinen Qualitätsunterschied zu Markenprodukten wahrnehmen. Warum also mehr bezahlen?

Der Wettbewerb verläuft bei Handelswaren also über den Preis. Als Anbieter gibt es drei Möglichkeiten, den Preis zu senken:

  1. Die Marge senken
  2. Die Bezugskosten/Produktionskosten senken.
  3. Die Gemeinkosten senken.

Die Marge senken

Kein Anbieter will die Marge senken, aber wer zu gierig wird, macht kein Geschäft. Das ist der Grund, warum Marktwirtschaft funktioniert: der Wettbewerb zwingt die Anbieter, eine ehrliche Kalkulation ihrer Kosten durchzuführen und die Absatzpreise kostenorientiert zu gestalten. Natürlich nur, wenn es auch einen funktionierenden Wettbewerb gibt. Wettbewerb über Margen ist Kernelement unserer Wirtschaftsordnung und nichts Schlechtes. Wer aber Unternehmensberater ist, wird mit dem Vorschlag, die Wettbewerbsfähigkeit durch Absenken der Marge zu verbessern, wohl vom Hof gejagt.

Die Bezugskosten/Produktionskosten senken.

Die Kosten für die Produktion und den Bezug von Waren zu senken, ist ebenfalls normaler Teil von Marktwirtschaft und führt bei produzierenden Unternehmen zu Prozessinnovationen und letztlich technischem Fortschritt. Die meisten Stromlieferanten sind aber Händler und kaufen die Energie im Großhandel oder an der Börse ein. Eine Optimierung der Bezugskosten ist bei Handelswaren daher in der Regel gleichzusetzen mit einer Optimierung der Beschaffungsstrategie.

Anders gesagt: wer Strom billig verkaufen will, muss ihn vorher billig einkaufen. “Im Einkauf liegt der Gewinn”, lautet ein altes Kaufmannsmotto. Im Spothandel, also in Märkten auf denen Strom zur sofortigen Lieferung gehandelt wird, gibt es aber kaum Preisunterschiede. Das ist kein Wunder, denn identische Produkte mit identischem Lieferort und Lieferzeitpunkt können keine unterschiedlichen Preise haben. Deswegen haben zwei Tankstellen, die auf unterschiedlichen Straßenseiten liegen, auch keine unterschiedlichen Benzinpreise. Mindestens ein Merkmal muss sich unterscheiden, um einen Preisunterschied zu rechtfertigen. Bei der Strombeschaffung ist das meistens der Beschaffungszeitpunkt.

Ein Schnäppchen bei der Beschaffung kann gelingen, wenn man den Strom im Voraus einkauft, auf den Terminmärkten. Denn die Erwartungen über zukünftige Strompreise, die in den Terminmarktpreisen verdichtet werden, kann sich ändern. Strom zur Lieferung im nächsten Jahr kann heute teurer sein als nächsten Monat – oder umgekehrt. Die richtige Wahl des Einkaufszeitpunktes kann den Unterschied machen.

Hier wird es kompliziert, denn im richtigen Moment zu kaufen und zu verkaufen ist das Kernproblem jedes Börsenhändlers. Egal, ob es dabei um Aktien, Rentenpapiere, Rohstoffe, Devisen oder Strom geht. Wie kann man im Voraus wissen, welche Positionen zukünftig steigen werden? Wie kann man rechtzeitig erkennen, wann ein Preisverfall droht?

Es gibt viele Methoden, sich dem Problem zu nähern. Manche sind halbwegs seriös, andere sind eher Voodoo. Grundsätzlich sinnvoll ist es, sich mit dem Markt und dem Produkt zu beschäftigen, also harte Fakten zu kennen und in seine Entscheidung einfließen zu lassen. Das Problem ist, dass letztlich alle Marktteilnehmer die gleichen Nachrichten lesen. Ein Informationsvorsprung lässt sich so nicht gewinnen. Die Verwendung von Insiderinformationen ist daher viel nützlicher – in der Regel aber verboten.

Manche schwören auch auf die grafische Analyse der Kursentwicklung, die sogenannte “Charttechnik”. Wissenschaftlich betrachtet sind vergangene Kursentwicklungen keine zuverlässige Grundlage für Prognosen. Dennoch wird Chartanalyse oft zur selbsterfüllenden Prophezeiung, weil so viele Marktteilnehmer daran glauben. Wenn alle meinen, die Kurse würden steigen und daher kaufen, dann steigen die Kurse tatsächlich… Klappt aber nicht immer, denn in die Chartanalyse gehen immer auch subjektive Wertungen ein, so dass diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. “Die einen sagen so, die anderen so” ist halt kein besonders aussagekräftiges Orakel… Nun ja, aber so sind Orakel ja eigentlich immer.

Wie also kann man an der Börse Geld verdienen? Viele Wirtschaftswissenschaftler haben sich dieser Frage gewidmet, beispielsweise der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann. Dieser führte in den 1980er Jahren Untersuchungen mit Börsentradern durch. Deren Arbeitgeber zeichneten jährlich den Trader mit dem höchsten Gewinn des Jahres für seine gute Arbeit aus. Kahnemann und sein Team stellten fest, dass im Grunde jedes Jahr ein anderer gewann, was zeigte, dass keiner der Trader besondere, hellseherische Fähigkeiten hatte. Es hatte einfach jedes Jahr ein anderer Glück. Die Banken, für die sie arbeiteten, schütteten also jedes Jahr Boni aus für den, der zufällig am meisten Glück hatte…

In anderen Untersuchungen ließ man Affen ein Portfolio aus Aktien auswählen (durch Ziehe von Kugeln aus einer Box). Die Performance dieser Aktien wurde dann über einen längeren Zeitraum beobachtet und mit dem Abschneiden von Investmentfonds, die von gut ausgebildeten Fondsmanagern geführt wurden, verglichen. Der “Affen-Investmentsfonds” performte im Durchschnitt genauso gut oder sogar besser als die gemanagten Fonds. Da man davon ausgehen kann, dass die Auswahl der Affen zufällig war, kann man diese Entscheidungen mit einem zufälligen Marktdurchschnitt gleichsetzen. Auch die besten Fondsmanager können also den Markt nicht dauerhaft schlagen.

Zurück zum Strom: was ist der beste Einkaufszeitpunkt für Strom? Darauf gibt es keine Antwort. Wenn die Preise steigen, muss man früh einkaufen. Wenn die Preise fallen, muss man spät einkaufen. Aber ob die Preise in den nächsten drei Jahren steigen oder fallen, weiß heute niemand.

Viele kaufen über einen mehrjährigen Zeitraum (häufig drei Jahre) jeweils kleine Tranchen der benötigten Absatzmenge. So kann sichergestellt werden, dass der Beschaffungspreis immer ein Durchschnittspreis über die Beschaffungsdauer ist. Plötzliche Preisveränderungen schlagen dann nur anteilig auf den Beschaffungspreis durch. Wenn die Preise aber kontinuierlich fallen, ist dieser Durchschnittspreis trotzdem höher als der eines Lieferanten, der sich erst im Lieferzeitpunkt am Spotmarkt eindeckt. Und wenn die Preise kontinuierlich steigen, ist der Durchschnittspreis immer noch teurer als der eines Lieferanten, der schon vor Jahren seine gesamte Absatzmenge beschafft hat.

You can’t win, irgendeiner hat meistens einen noch besseren Einkaufszeitpunkt erwischt. Die optimale Strombeschaffungsstrategie zu erwischen ist wie Glücksspiel in einem Casino. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Der günstigste Stromlieferant ist deshalb häufig der, der am meisten Glück hatte. Oder den besten Affen…

Das Beste, was man tun kann, ist, sich eine Beschaffungsstrategie zu überlegen und diese durchzuziehen. Wer gut informiert – oder gut beraten – ist, kann vielleicht die ein oder andere, kurzfristige Übertreibung an den Märkten erkennen und in seine Beschaffungsstrategie übernehmen. Auf mehr kann man aber nicht hoffen.

Exkurs: Strom selbst erzeugen

Im Prinzip kann man natürlich den Strom, den man an seine Endkunden verkaufen will, auch selbst erzeugen. Das tun einige Stromlieferanten auch, indem sie sich an Kraftwerksgesellschaften oder Windparkgesellschaften beteiligen. Auf diese Weise haben sie Zugriff auf eine Stromerzeugung, die sie mit den Gestehungskosten bewerten können. Denn wenn ein Windpark Strom zu 6 Cent pro Kilowattstunde erzeugt, dann kann man ihn natürlich zu 7 Cent pro Kilowattstunde mit Gewinn verkaufen, selbst wenn der Marktpreis bei 8 Cent liegt. Den Marktpreis muss man ja in der Beschaffung nicht zahlen, man hat ja seine eigene Erzeugungsanlage.

Nur: wieso sollte man? Aus welchem Grund sollte man seinen Strom für 7 Cent pro Kilowattstunde verkaufen, wenn der Marktpreis bei 8 Cent liegt? Natürlich könnte man viele Endkundenverträge schließen, wenn man den Strom billiger abgibt. Aber man kann den Strom ja auch einfach am Markt verkaufen. Zu 8 Cent. Wieso sollte man das nicht tun?

Wer den Strom unter Marktpreisen an Endkunden abgibt, macht zwar einen Gewinn mit seiner Erzeugungsanlage. Aber in einer ehrlichen Rechnung verzichtet er auf möglichen Gewinn durch das Marktgeschäft und entgangener Gewinn ist Verlust. Man nennt das “Opportunitätskosten”, also die Kosten der entgangenen Möglichkeit. Im obigen Beispiel liegen die Gestehungskosten bei 6 Cent und die Opportunitätskosten bei 1 Cent, ehrlich gerechnet kostet der Strom also 7 Cent. Wer etwas verdienen will, muss den Strom also zu 8 Cent verkaufen, nicht für 7 Cent.

Eine eigene Erzeugungsanlage zu kaufen (oder zu bauen) ist ökonomisch betrachtet nichts anderes als ein Termingeschäft, bei dem man den Strom zu seinen späteren Gestehungskosten im Voraus einkauft. Und wie jedes Termingeschäft kann sich das lohnen – oder eben nicht.

“Aber man spart die Marge es Erzeugers!” mögen manche einwenden. Das gilt aber nur, wenn man die Erzeugermarge nicht in seine Endkundenpreise einpreist. Und damit sind wir wieder bei Punkt Eins, “Die Marge senken”. Klar, man kann seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern, indem man seine Marge senkt. Aber man verringert damit seinen Gewinn. Ob man die Erzeugermarge senkt oder die Händlermarge ist dabei letztlich irrelevant.

Die Gemeinkosten senken

Um ein billiges Produkt anzubieten bleibt damit noch Möglichkeit Drei: die Gemeinkosten senken. Zu den Gemeinkosten zählen in der Regel die Fixkosten und die sogenannten “sprungfixen” Kosten, also alles, was nicht direkt mit der Anzahl der Kunden und der verkauften Menge zusammenhängt. Beispielsweise benötigt man als Stromlieferant in der Regel Geschäftsräume, egal ob gemietet oder gekauft, ebenso Softwarelizenzen für Abrechnungssysteme und andere Programme. Man benötigt Personal und Versicherungen, man hat Aufwendungen für Marketing und rechtliche Beratung.

Die meisten dieser Kosten fallen unabhängig davon an, ob einhundert, eintausend oder eine Million Kunden beliefert werden. Einige Kostenarten sind indirekt mit der Kundenanzahl verknüpft. Ein Lieferant mit einer Million Kunden benötigt mehr Buchhalter als ein Lieferant mit 100.000 Kunden. Aber nicht zehnmal mehr.

Die Fixkosten pro Produkteinheit sind also umso geringer, je größer der Anbieter. Tendenziell können größere Anbieter daher günstigere Produkte anbieten. Das gilt für alle Produkte in einer Marktwirtschaft, jede Branche neigt zur Konsolidierung der Anbieter. Eine Produktdifferenzierung wirkt dem entgegen. Denn egal wie billig ein Konzert des Lokalensembles in der Stadthalle ist, es wird für viele trotzdem kein Ersatz für eine teure Show von Taylor Swift sein. Denn ein Taylor-Swift-Konzert ist maximal individualisiert, die gibt es nur einmal. Heißt im Umkehrschluss: wo eine Produktdifferenzierung schwerfällt, und der Wettbewerb verstärkt über den Preis stattfindet, sind die Konsolidierungstendenzen besonders groß.

Kurz gesagt: Märkte für Handelswaren neigen zur Bildung von Oliogopolen. Ein Oligopol ist ein Markt, auf dem es nur noch wenige, große Anbieter gibt. Diese wiederum verhalten sich häufig ähnlich und passen ihr Verhalten und ihre Preise synchron an. Es gibt daher wenig Wettbewerb und kaum Kundenwechsel. Kein Casino also.

Ein klassisches Beispiel für einen solchen Markt sind Tankstellen. Deren Produkte sind ebenfalls genormte Handelswaren, das Benzin einer Tankstelle ist ebenso gut wie das jeder anderen, beliebigen Tankstelle. Und so gibt es in Deutschland zwar rund 14.000 Tankstellen, diese werden aber fast alle von vier großen Mineralölkonzernen betrieben (Aral, Shell, TotalEnergies und BP). Die Anbieter verhalten sich wie klassische Oligopolisten, die Benzinpreise einer Region unterscheiden sich kaum voneinander, egal an welcher Tankstelle man hält. Und die Preisschwankungen verlaufen ebenfalls zeitlich synchron.

Noch deutlicher wird das im Online-Handel. Auch im Internet gibt es zwar tausende von Versandhändlern für alle möglichen Produkte, über die Hälfte der Online-Einzelhandelsumsätze wird aber von Amazon gemacht, das durch geschickte Organisation und die Hebung von Synergien und Skaleneffekten bei vielen Produkten den günstigsten Preis anbieten kann.

Normalerweise müsste auch der Strommarkt sich in einem Konsolidierungsprozess befinden. Nach und nach müssten Anbieter aus dem Markt ausscheiden, weil größere Anbieter mit geringeren Gemeinkosten punkten können und die Margen für kleinere Anbieter zu gering werden. Genau das hatte man zu Beginn der Liberalisierung auch prophezeit, das “große Stadtwerke-Sterben“ wurde befürchtet. Warum passiert das im Strommarkt nicht?

Stadtwerke als Retter des Strommarktes

Ein Grund ist, dass Stadtwerke (und andere, kleine Händler) einfach zu stur sind. Die machen einfach weiter, auch wenn es manchmal keinen Spaß mehr macht. Und halten den Wettbewerb damit am Laufen, auch wenn er einem Casino gleicht.

Wieso klappt das? Wieso scheitern die Stadtwerke nicht an zu hohen Gemein- und Fixkosten? Dafür gibt es zwei Gründe:

  1. Stadtwerke sind keine Gewinnmaximierer
  2. Die Casino-Komponente ist zu groß

Stadtwerke haben wahrscheinlich häufig höhere Fixkosten als andere Stromlieferanten, weil sie tendenziell relativ klein sind und einen guten, aber teuren Kundenservice anbieten, in der Regel mit Kundencentern vor Ort.. Immerhin gibt es rund 900 Stadtwerke in Deutschland, wobei nicht alle auch Strom liefern. Pro Kunde und Kilowattstunde liegen die Kosten wahrscheinlich in vielen Fällen höher als bei überregionalen Anbietern. Aber Stadtwerke sind meistens in kommunaler Hand und sehen ihre Aufgabe nicht darin, einen maximalen Gewinn für ihre Anteilseigner zu erwirtschaften. Vielmehr sollen sie der Kommune einen Mehrwert durch lokale Wertschöpfung bieten. Dafür werden häufig auch niedrige Margen in Kauf genommen, solange diese zur Refinanzierung ausreichen. Anders gesagt: Stadtwerke gleichen höhere Fixkosten häufig durch geringere Margen aus. Gern geschehen.

Viel wichtiger ist aber der zweite Grund: die Casino-Komponente ist viel zu groß. Der Strompreis setzt sich aus verschiedensten Komponenten zusammen, die meisten davon, wie Netzentgelte oder gesetzliche Umlagen, sind bei jedem Stromlieferanten gleich groß. Unterscheiden kann man sich nur in den Kostenarten, die hier schon diskutiert wurden: Marge, Gemeinkosten, Bezugskosten.

Die Bezugskosten bilden allerdings mit Abstand den größten Block, insbesondere seit Beginn der Energiekrise, die den reinen Energiepreis praktisch verdoppelt hat. Das verringert die relative Bedeutung der restlichen Kostenarten, denn was nützt es, die Gemeinkosten um 0,5 Cent pro Kilowattstunde zu drücken, wenn die Bezugskosten 2 Cent höher liegen als bei der Konkurrenz? “It’s the Beschaffungskosten, stupid!”

Der Wettbewerb wird, besonders in den Jahren seit Beginn des Ukraine-Kriegs, von den Bezugskosten dominiert und gesteuert. Alles andere ist weniger wichtig geworden. Das führt dazu, dass Kunden viel mehr als früher durch einen Wechsel des Anbieters sparen können. Es führt aber auch dazu, dass es mehr als früher vom Zufall abhängt, welcher Anbieter der günstigste ist. Wer immer den günstigsten Preis will, wird nicht umhinkommen, jedes Jahr seinen Lieferanten zu wechseln. Und der Lieferant, der aktuell den höchsten Zulauf verzeichnet, ist nicht “besser” als andere, sondern hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Glück in seiner Beschaffung.

Neues Marktdesign?

Es bleibt die Frage: ist das ein sinnvoller Wettbewerb? Oder ist es nicht das gleiche wie das Bonus-System der Bank, die jedes Jahr dem Händler mit dem meisten Glück einen Bonus gab? Wer gewinnt etwas dadurch, dass die Kunden jedes Jahr zu einem anderen Anbieter wechseln?

In einem volkswirtschaftlich sinnvollen, marktwirtschaftlichen Wettbewerb haben Unternehmen einen Anreiz, ihre Gemeinkosten zu senken und bei den Margenforderungen bescheiden zu bleiben. Ein Anreiz, den “richtigen” Beschaffungszeitpunkt zu erwischen, ergibt keinen Sinn, denn niemand kann zukünftige Preisentwicklungen stets richtig vorhersehen. Eine Portion Glück gehört immer dazu – Casino eben.

Das ist selbstverständlich kein Plädoyer für eine Abschaffung der Liberalisierung. Aber die Bedeutung der Casino-Komponente muss gesenkt werden. Dazu wäre es sinnvoll, wenn die Volatilität der Energiepreise an den Großhandelsmärkten und Börsen kleiner wäre. Je geringer die Volatilität, desto weniger Bedeutung hat der “richtige” Beschaffungszeitpunkt. Leider führt der derzeitige, starke Ausbau der erneuerbaren Erzeuger, die aus der Natur der Sache heraus nicht gleichmäßig und steuerbar produzieren können, eher zum Gegenteil. Die Volatilität nimmt zu und nicht ab. Wir benötigen daher dringend mehr Stromspeicher und Backup-Kraftwerke zum Ausgleich.

Wettbewerb um Stromkunden – ein blödes Spiel?

Die Politik steht dem “Wettbewerb” trotz allem eher positiv gegenüber und fordert alle Kunden auf, regelmäßig den Anbieter zu wechseln. Fast vergessen ist, dass gerade die günstigsten Anbieter in der Energiekrise nicht mehr liefern konnten oder wollten und ihre Kunden in die Grundversorgung schickten.

Immerhin: im Rahmen einer anstehenden Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sollen Energielieferanten verpflichtet werden, Absicherungsstrategien zu entwickeln, um eine Lieferfähigkeit auch bei plötzlichen Preisänderungen im Großhandel zu gewährleisten. Anders gesagt: Anbieter sollen gezwungen werden, Absatzmengen mindestens anteilig durch Terminbeschaffungsgeschäfte zu decken – oder andere Risikominimierungsmöglichkeiten zu finden. Die durchaus im Markt zu findende Strategie, vollständig “short” zu verkaufen, also Absatzverträge ohne sofortigen, dazugehörigen Einkauf zu schließen, wird damit schwieriger. Eine gut gemeinte Neuregelung. Ob sie gut gemacht ist, wird sich zeigen.

Trotzdem können die Kunden, im Gegensatz zu den Stromlieferanten, häufig aus einer Terminbeschaffung wieder “aussteigen”, indem sie einfach den Lieferanten wechseln. Das ist ungefähr so, als würde man bereits gekaufte Aktien gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgeben, wenn die Kurse sich nicht so entwickeln, wie erhofft. Der Lieferant bleibt dann auf seinen Mengen sitzen und muss sie unter Wert am Markt verkaufen. Im Zweifel sogar an den neuen Lieferanten des Kunden, der mit seinen glänzenden Einkaufspreisen überzeugen konnte… Blödes Spiel.

Lieferanten können dieses Risiko minimieren, indem sie Kunden mit Laufzeitverträgen binden und die Beschaffung zeitlich synchron durchführen. In der Grundversorgung funktioniert das allerdings nicht, denn hier können die Kunden jederzeit wechseln. Grundversorger sind häufig Stadtwerke, die in dem Spiel schon wieder den Kürzeren ziehen.

Fazit

Es gibt kaum Konsolidierungstendenzen im Bereich der Energielieferanten. Hunderte Anbieter buhlen um Kunden und die Schnäppchenjäger werden eher mehr als weniger. Nicht zuletzt, weil Verbraucherschützer und Politik dem “Wettbewerb” das Wort reden und zum Anbietervergleich auffordern.

Der Wettbewerb im Strommarkt hinterlässt einen faden Beigeschmack, da oft nur der Zufall den günstigsten Anbieter bestimmt. Kunden, die immer den günstigsten Strompreis wollen, müssen daher praktisch jährlich den Anbieter wechseln.

Die “Casino-Komponente” ist mitverantwortlich dafür, dass es keine Konsolidierungstendenzen im Strommarkt gibt, denn auch niedrige Margenforderungen und geringe Prozesskosten garantieren keinen Markterfolg. Und die Vielzahl der Wettbewerber, von denen viele Stadtwerke sind, sorgen für einen liquiden Markt, auf dem jederzeit Alternativen zur Verfügung stehen.

Schnäppchenjäger werden also auch in Zukunft auf ihre Kosten kommen. Gebietsmonopole, wie vor der Liberalisierung, sind aber auch keine Lösung. Es hilft nichts: wir müssen die Volatilität der Strompreise reduzieren, durch Speicherlösungen und Backup-Kraftwerke. Sonst heißt es für viele Stadtwerke und andere Lieferanten irgendwann doch noch „rien ne va plus“ im größten Casino der Welt…

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