Der Marie-Antoinette-Effekt

Marie-Antoinette-Effekt

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, würde die AfD ein Rekordergebnis von fast 20% erzielen (+10%). Die Regierungsparteien hingegen würden im Vergleich zu den letzten Wahlergebnissen abstürzen. Am schlimmsten träfe es die SPD (-6%) und die FDP (-6%). Die Grünen würden etwa das gleiche Ergebnis wie bei der letzten Bundestagswahl erreichen (15%), was aber deutlich unter ihrem Höchstwert liegt. Zusammen würde die Ampelkoalition nur noch 40% erzielen.

Für den Höhenflug der AfD gibt es viele Erklärungsversuche. Im Allgemeinen ist Konsens, dass viele Stimmen für die AfD Proteststimmen sind, die Wähler also nicht unbedingt für die AfD aber gegen alle anderen Parteien, speziell gegen die Regierungsparteien sind. Das ist beruhigend und beunruhigend zugleich. Beruhigend, weil die AfD mit ihren fremden- und fortschrittsfeindlichen Parolen offenbar noch immer nur eine Minderheit wirklich überzeugen kann. Beunruhigend, weil die Frustration über die Bundesregierung offenbar so groß ist, dass eine Stärkung dieser rechtsextremen Partei als tolerabel angesehen wird, um auf seine Unzufriedenheit aufmerksam zu machen.

Woher kommt der Frust? Es gibt viele Entwicklungen in Deutschland, die kritikwürdig sind: Inflation, mangelnde Digitalisierung der Verwaltung, wirtschaftliche Unsicherheit, ungenügende Kinderbetreuung, Unterrichtsausfall in den Schulen, Mangelausstattung der Bundeswehr und vieles mehr. Aber Missstände gibt es immer, so dass der aktuelle Frust nicht nur auf den derzeitigen Handlungsbedarf zurückzuführen sein kann.

Das eigentliche Problem ist, dass die Politik verlernt oder vergessen hat zu erklären, wie man Ziele erreichen will. Im Aufstellen von Zielen ist man großartig: Klimaneutralität bis 2045, Ausstieg aus der Kohle bis 2030, mindestens sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen bis 2030, keine Gasheizungen mehr ab 2024 (oder 2028) und und und… Aber wie das gehen soll, erklärt leider kaum einer. Und so werden viele Ziele auch schlicht nicht erreicht: der Breitbandausbau stockt seit Jahren, die Digitalisierung der Verwaltung kommt nicht voran, die Förderprogramme für Elektromobilität werden nicht weiterentwickelt… Wunsch und Wirklichkeit driften auseinander.

So entsteht in der Bevölkerung der Eindruck, die Politik interessiert sich nicht für die Folgen der wolkigen Zieldefinitionen, die man dort in “Major Tom”-Manier, “völlig losgelöst” von sachlichen Zwängen, beschließt. Eine Ähnliche Ignoranz wurde bereits in früheren Zeiten vom Volk hart bestraft: die französische Kaiserin Marie-Antoinette soll auf die Beschwerde, das Volk habe kein Brot, geantwortet haben: “Dann sollen sie eben Kuchen essen”. Heute würde sie vielleicht sagen: “Dann sollen sie eben eine Wärmepumpe kaufen”. Heutzutage droht einem Politiker für solch eine Aussage gottlob keine Guillotine mehr. Aber das Erstarken der AfD ist zu einem Teil auch ein “Marie-Antoinette-Effekt“.

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