Think Big! Dieses Motto scheinen wir in Deutschland nicht zu mögen. Und so verlieren wir uns bei der Energiewende im Klein-Klein, während wir gleichzeitig neidisch in die USA und nach China schauen. Dort wird in einem Jahr die gleiche Menge Photovoltaik zugebaut, die wir mühsam in 20 Jahren der EEG-Förderung zusammengeklaubt haben. Dabei ginge es auch anders. Ganz anders…
Es ist schon paradox: obwohl der Klimawandel immer deutlicher zutage tritt und der Ausbau der Erneuerbaren durch die Abschaltung von Kern- und Kohlekraftwerken immer dringlicher wird, werden die Photovoltaik-Anlagen immer kleiner. Selten wird ein komplettes Dach bedeckt, meist begnügen sich die Besitzer mit einer Teilfläche aus wenigen Modulen. Auf Mietshäusern wird in der Regel gar nichts gebaut. Die heute gebauten Dach-Anlagen sind in der Regel Eigenverbrauchsanlagen, die nur den nicht selbstverbrauchten Teil der Erzeugung in das öffentliche Netz einspeisen. Das liegt daran, dass die durch das EEG garantierte Vergütung für die Einspeisung so niedrig ist, dass eine Amortisation der Anlage nur durch Einspeisevergütungen nicht gewährleistet ist.
Früher war das anders: zu Beginn der EEG-Förderung wurden sage und schreibe 51 Cent pro Kilowattstunde Solarstrom gezahlt. Durch das schnelle Sinken der Anschaffungs- und Betriebskosten für Photovoltaikanlagen war das mehr als auskömmlich, so dass es zu einem explosionsartigen Zubau kam. In der Regel wurden die Dachflächen voll ausgenutzt, jeder Quadratmeter wurde belegt. Häufig wurde beim Bau einer neuen Scheune oder Maschinenhalle darauf geachtet, dass Dachflächen die richtige Ausrichtung haben und – im Verhältnis zum Gebäude – möglichst groß sind. Davon zeugen zahlreiche Immobilien, die “mehr Dach als Gebäude” zu sein scheinen. Es lohnte sich eben, möglichst viel Fläche mit PV-Modulen zu bedecken.
Die Mittel für diese hohen Vergütungssätze stammten jedoch größtenteils aus der EEG-Umlage, die jeder Stromkunde zahlen musste (nun, fast jeder: für stromintensive Industrien gab es Ausnahmen). Und da Jürgen Trittin den Bürgern zur Einführung des EEG im Jahre 2000 versprochen hatte, die Umlage werde für jeden Haushalt „nicht mehr als eine Kugel Eis” pro Monat kosten musste etwas geschehen.
Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte in 2010 gerade erst den Atomenergieausstieg rückgängig gemacht und die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert. Wahrscheinlich unter dem Eindruck, die Versorgungssicherheit damit gewährleistet zu haben, wurden 2011 drastische Kürzungen der EEG-Einspeisevergütungen beschlossen, was den Markt ab 2013 einbrechen ließ und einen Großteil der deutschen Solarbranche in die Insolvenz trieb. Operation gelungen, Patient tot…
Bereits im Jahre 2009 wurde allerdings eine weitere Neuerung eingeführt: Anlagenbetreiber konnten erstmals einen Teil des Stroms selbst verbrauchen. Anfangs wurde sogar für den selbst verbrauchten Strom noch eine Vergütung gezahlt. Das wurde jedoch schnell revidiert, denn diese Art der Erzeugung kann auf ihre eigene Weise bereits sehr lukrativ sein: für jede selbst erzeugte Kilowattstunde muss keine Vergütung mehr an den Lieferanten gezahlt werden. Und ein gesparter Euro ist ein verdienter Euro, der Selbstverbrauch wirkt für den Kunden genau wie eine Vergütung. Leidtragender ist nun aber nicht mehr die Gesamtheit der Stromkunden, die die EEG-Umlage entrichten müssen, sondern diejenigen, die am Strompreis verdienen: der Lieferant, der Netzbetreiber, die Gemeinde (Konzessionsabgabe) und der Staat (Steuern).
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung von Photovoltaik-Anlagen änderte sich fundamental. Heute werden Anlagen in der Regel so ausgelegt, dass die Eigenverbrauchsquote möglichst hoch ist, denn im Vergleich zur garantierten Einspeisevergütung ist die eingesparte Kilowattstunde deutlich wertvoller. Das wiederum bedeutet aber häufig, dass die Anlage kleiner dimensioniert wird, als sie sein könnte. Zusätzliche Module würden lediglich Strom für den Markt erzeugen. Das lohnt sich aber für den Betreiber nicht, also lässt er sie weg.
Das aktuelle EEG ist daher ein Anreiz für Egoismus. Jeder produziert im Wesentlichen für sich selbst, nur unvermeidbare Überschusserzeugung wird an den Markt abgegeben.
Das hat Folgen. Für jedermann sichtbar ist, dass Dachflächen nicht ausgenutzt werden und dass auf Mehrparteienhäusern in der Regel keine Anlage errichtet wird. Warum auch? Der Eigentümer wohnt nicht in dem Haus und kann die Energie nicht selbst verbrauchen, eine Netzeinspeisung lohnt sich nicht und ein Verbrauch des Stroms durch die Mieter wäre nur dann möglich, wenn der Vermieter sich durch das Bürokratiedickicht “Mieterstrommodell“ wühlt und widerwillig zum Stromlieferanten wird. In den meisten Fällen lohnt sich das nicht und so haben Vermieter keinen Anreiz dazu.
Da jeder nur noch an sich denkt und für seinen eigenen Verbrauch produzieren will erleben wir eine Miniaturisierung und Atomisierung der Energiewende. Die gebauten Anlagen werden immer kleiner. Neuer Höhepunkt dieser Verzwergung sind Balkon-Solaranlagen, die 300 bis 600 Watt erzeugen und – je nach Anschlusskonzept – eine Netzeinspeisung meist gar nicht erst zulassen. Um die gleiche Nennleistung wie eine typische Dachanlage mit 10 kWp zu erreichen, benötigt man 17 Balkon-Solaranlagen. Wenn man den geringeren Wirkungsgrad dieser Kleinst-Kraftwerke berücksichtigt, noch mehr. Um die Nennleistung eines durchschnittlichen Kohlekraftwerks mit 350 Megawatt zu ersetzen benötig man 583.000 Balkon-Solaranlagen, wobei letztere nur im theoretischen Idealfall ihre Spitzenleistung abrufen können, während das Kohlekraftwerk dazu jederzeit in der Lage ist.
Faktisch kann Deutschland wahrscheinlich nicht mal ein einziges seiner 130 Kohlekraftwerke durch Balkon-Solaranlagen auch nur näherungsweise ersetzen. Trotzdem beherrschen diese Anlagen derzeit den öffentlichen Diskurs. Wirtschaftsminister Habeck lässt mitteilen, er wolle den Anschluss und Betrieb dieser Anlagen erleichtern und widmet Balkonkraftwerken in seiner Photovoltaik-Strategie eines von elf Handlungsfeldern. Die Verbraucherzentrale setzt sich dafür ein, dass die VDE-Regeln zum Anschluss dieser Anlagen vereinfacht werden. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) prüft eine Gesetzesreform, um Rechtsstreitigkeiten wegen des Anschlusses dieser Anlagen zu vermeiden. Wir wollen es also richtig machen. Es stellt sich aber die Frage, ob wir auch das Richtige machen…
Dazu kommt noch die soziale Frage: wenn wir auf Selbstversorgung setzen und Photovoltaik möglichst nur für den eigenen Bedarf gebaut wird, haben große Bevölkerungsgruppen das Nachsehen. Denn nur Eigenheimbesitzer können ihr Haus mit einer eigenen Dachanlage bedecken und zum “Prosumer” werden, also zum Produzenten und Konsumenten gleichzeitig. Mieter hingegen können das nicht. Ihnen bleibt höchstens der Betrieb von Balkon-Solarkraftwerken, die jedoch mit der Erzeugungsleistung einer Dachanlage natürlich nicht mithalten und damit höchstens als Trostpflaster dienen können. Eine spürbare wirtschaftliche Entlastung des Haushaltsbudgets durch eine (weitgehende) Verabschiedung aus der Solidargemeinschaft der Netzkunden können nur Eigenheimbesitzer erzielen, die im Median sicher ein höheres Haushaltsbudget zur Verfügung haben als Mieter. Das derzeitige Modell ist also eine Förderung für Gutverdiener.
Jede Kilowattstunde erneuerbar erzeugten Stroms hilft der Energiewende, das ist natürlich vollkommen klar. Aber mit dieser Binsenweisheit haben wir uns in Deutschland darüber hinweggetäuscht, dass es eben auch auf Effizienz ankommt. Konkreter: es kommt auch darauf an, wieviel erneuerbarer Strom pro Euro erzeugt wird. Und sobald man diesen Aspekt mit einbezieht, kommen die üblichen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie zum Tragen. Dazu zählen auch und besonders Skalen- und Fixkosteneffekte: große Anlagen sind in der Regel effizienter als kleine, der Fixkostenanteil liegt bei großen Anlagen niedriger als bei kleinen Anlagen.
Dazu kommt noch etwas: wir leben in einem Wirtschaftssystem, das eine große Stärke hat. Es kann sehr schnell sehr viel Kapital akkumulieren und damit Großinvestitionen umsetzen. Unsere Marktordnung heißt ja nicht umsonst “Kapitalismus”. Durch die Art und Weise, wie wir die Energiewende umsetzen, berauben wir uns aber dieses Vorteils. Wir haben uns in Bezug auf Photovoltaik ohne Not in ein vorindustrielles Bullerbü begeben, wo es keine “bösen Unternehmen” gibt. Eigentlich sind die aber gar nicht “böse”. Sie sind auch nicht “gut”. Sie sind ein nützliches Vehikel, mit dem eine Volkswirtschaft ihren Mitteleinsatz effizient organisiert.
Deswegen wird ja auch fast jedes Produkt heutzutage von einer Kapitalgesellschaft hergestellt oder zumindest durch eine Genossenschaft vermarktet. Lebensmittelselbstversorgung durch eigenen Anbau von Gemüse oder die Haltung eines Hausschweins gibt es nicht mehr, weil alle Produkte zu einem Bruchteil des Preises im Supermarkt von Großproduzenten bereitgestellt werden. Nur bei der Stromproduktion aus Photovoltaik haben wir irgendwie den umgekehrten Weg eingeschlagen.
Berechtigterweise darf man einwenden, dass die Errichtung von Photovoltaik-Großanlagen auf Dächern oder in Freifläche nicht verboten wurde. Es gibt auch keine Maximalgröße für Dachanlagen und auch kein grundsätzliches Verbot, dass diese Anlagen durch Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften errichtet und betrieben werden. Aber die derzeit geltenden, wirtschaftlichen Anreize und die Kommunikation der Politik führen dazu, dass die Ressourcen der Branche stark in Richtung kleiner Dach-Anlagen gelenkt werden, die sich durch den Nachfrageüberhang auch noch enorm verteuert haben. Andere Anreize führen zu anderen Anlagen, wie die Zeit des ersten Solarbooms bis 2012 gezeigt hat.
Und um die Ziele der Energiewende zu erreichen brauchen wir andere Anlagen. “Viel hilft viel” ist eben manchmal einfach wahr, und so muss man konstatieren, dass eine Freiflächen-Solaranlage, die beispielsweise die Fläche von zwei Fußballfeldern bedeckt, die gleiche nominale Peak-Leistung schafft wie 2.400 Balkon-Solaranlagen. Mit dem Unterschied, dass die Freiflächenanlage in der Regel eine optimale Ausrichtung und keine Beschattung hat, was den Unterschied noch potenziert. Viele dieser Anlagen werden von lokalen Stadtwerken betrieben, so dass die Gemeinschaft doppelt profitiert: der erzeugte Strom wird dem gesamten Markt zugeführt und dämpft damit die Großhandelspreise und die Gewinne werden zur Querfinanzierung lokaler Infrastruktur eingesetzt, beispielsweise für Schwimmbäder und ÖPNV.
Der überraschend schnelle Photovoltaik-Zubau in China fußt – wenig überraschend – auch nicht darauf, dass dort jede Hütte mit Solarzellen bedeckt wird. Es werden Großanlagen gebaut. In der Region Ningxia Hui beispielsweise wurde eine Freiflächenanlage mit einer Peak-Leistung von einem Gigawatt errichtet, was 1,7 Millionen Balkon-Solaranlagen entspricht. Bis März 2023 wurden in Deutschland etwa 200.000 Balkonkraftwerke verkauft…
Auch in den USA denkt man in anderen Dimensionen. Im Jahr 2023 alleine sollen 29 Gigawatt an Solarleistung ans Netz gehen, auch diese selbstverständlich tendenziell in Großprojekten umgesetzt und nicht Hausdach für Hausdach. Zum Vergleich: Deutschland hat eine Photovoltaik-Erzeugungskapazität von 59 Gigawatt insgesamt. Wir fördern diese Technologie aber auch bereits seit mehr als zwanzig Jahren und haben dafür Milliardenbeträge verausgabt. Der Anteil des Sonnenstroms an der deutschen Erzeugung lag 2022 trotzdem bei bescheidenen 11%.
Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass man den falschen Weg eingeschlagen hat. Und es ist nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, dass wir die Energiewende nach streng rationalen Erwägungen vorantreiben. Natürlich ist für viele Hausbesitzer die eigene Anlage auf dem Dach mit viel Emotionen und Stolz verbunden. Auch der Wunsch nach vermeintlicher Autarkie lockt viele Eigenheimbesitzer. Aber volkswirtschaftlich betrachtet können wir uns diese Miniaturisierung nicht leisten, wenn wir die selbst gesteckten Ziele erreichen wollen.
Es ist Zeit, nachzusteuern und größer zu denken. Think Big!
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