Das Fazit vorab: gar nicht. Vielleicht am Ende. Ein bisschen. Aber der Reihe nach…
Der Entwurf des neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sieht vor, dass wasserstofffähige Gasheizungen nur dann als gesetzeskonform eingestuft werden, wenn der lokale Erdgasnetzbetreiber einen (verbindlichen) Transformationsplan vorweist, der eine Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoff bis 2035, also innerhalb der nächsten 12 Jahre, vorsieht. Stand heute hat noch kein deutscher Erdgasnetzbetreiber einen solchen verbindlichen Plan, obwohl es doch auch für die Gasnetzbetreiber wichtig wäre, zukunftsfest aufgestellt zu sein. Woran liegt das? Kann man ein Erdgasnetz überhaupt auf Wasserstoff umstellen?
In Deutschland sind 511.000 Kilometer Erdgasleitungen im Boden verlegt. Auch wenn einige dieser Leitungen und Anlagen bereits Jahrzehnte alt stellen diese einen gewaltigen Vermögenswert dar, der sich auch in entsprechenden Buchwerten der Eigentümer und Betreiber widerspiegelt. Allein die Westnetz GmbH, eine große Netzbetreibergesellschaft des E.ON-Konzerns, weist 2021 Restbuchwerte des Anlagevermögens in der Sparte Gasverteilung in Höhe von 321,2 Millionen Euro aus. Dazu kommen die vielen Gasnetze, die von kommunalen Stadtwerken betrieben werden. Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland Milliardenwerte an Erdgasinfrastruktur existieren. Diese werden spätestens im Jahre 2045 wertlos sein, denn zu diesem Zeitpunkt muss Deutschland klimaneutral sein und der Transport von fossilem Erdgas ist dann schlicht kein akzeptables Geschäftsmodell mehr. Wahrscheinlich wird das Ende von Erdgas als Energieträger bereits weit vor 2045 liegen, denn jeder Kunde, der auf eine andere Energiequelle umstellt, leistet keinen Deckungsbeitrag mehr zur Finanzierung des Fixkostenblocks der Infrastruktur. Um einen kostendeckenden Betrieb sicherzustellen müssen die Netzbetreiber daher die Netzentgelte jährlich erhöhen und dass in sich vergrößernden Schritten: eine Todesspirale. Es liegt also nahe, sich über eine Folgenutzung der Assets Gedanken zu machen und Wasserstofftransport als Geschäftsmodell drängt sich scheinbar auf.
Wasserstoff ist ein Gas, noch dazu eines mit sehr vergleichbaren Eigenschaften zu Erdgas, das im Wesentlichen aus Methan besteht. Der wesentliche Unterschied ist, dass Wasserstoff keine Kohlenstoffbindung hat und daher bei der Verbrennung kein CO2 freisetzt. Die Energiedichte von Wasserstoff ist – auf das Volumen bezogen – etwas geringer als die von Methan, so dass man ggf. den Nominaldruck in den Netzen erhöhen müsste, um die gleiche Energiemenge transportieren zu können. Wasserstoff hat außerdem die unangenehme Eigenschaft, sich in Metall einzulagern und dort zu einer Versprödung zu führen. Rohrleitungen aus Metall müssen daher mit Kunststoff beschichtet werden, um diesem Effekt entgegenzuwirken. Weite Teile des Gasverteilnetzes bestehen jedoch ohnehin aus Kunststoffrohren, so dass dieses Problem beherrschbar ist. Auch der Rest der Erdgasverteilinfrastruktur lässt sich ohne wesentliche Umbauten auch für die Verteilung von Wasserstoff nutzen.
Für die Verbraucher gilt das nur eingeschränkt: eine Wasserstoffverbrennung verläuft anders als eine Methanverbrennung, Erdgasheizungen sind daher grundsätzlich nicht für Wasserstoff geeignet und lassen sich auch nicht ohne weiteres umrüsten. Die Produktion von Wasserstoffheizungen ist jedoch technisch grundsätzlich möglich und auch keine „Raketenwissenschaft“, die Technologie müsste nur in ein Massenprodukt ausgerollt werden. Etwas anspruchsvoller ist eine Hybrid-Heizung, die sowohl Wasserstoff als auch Erdgas verbrennen kann. Aber auch das ist ingenieurseitig grundsätzlich umsetzbar und möglich.
Wo liegt also das Problem?
Es fängt damit an, dass die heutigen Nutzer der Erdgasnetze nicht die zukünftigen Nutzer der Wasserstoffnetze sein werden. Auch wenn Wasserstoff rein physikalisch in einer Heizung zwecks Wärmeerzeugung verbrannt werden kann ist das voraussichtlich nicht wirtschaftlich. Wir sind daran gewöhnt, Erdgas als Rohstoff zu betrachten und Strom als veredeltes Endprodukt. Das Endprodukt hat üblicherweise eine höhere Wertigkeit als der verwendete Rohstoff. Bei grünem Wasserstoff verhält es sich jedoch umgekehrt: Strom ist hier der Rohstoff, Wasserstoff ist das veredelte Endprodukt. Wasserstoff wird daher eine höhere Wertigkeit, sprich: einen höheren Preis haben als Strom. Eine Wärmeerzeugung mit Strom wird daher wirtschaftlicher sein als eine Wärmeerzeugung mit Wasserstoff. Das gilt selbst dann, wenn der Strom nicht in einer Wärmepumpe genutzt wird, die aus einer Kilowattstunde Strom drei bis vier Kilowattstunden Wärme erzeugt. Selbst eine Stromdirektheizung, die aus einer Kilowattstunde Strom maximal eine Kilowattstunde Wärme erzeugt, wird wirtschaftlicher als eine Wasserstoffheizung sein. Es ist durchaus möglich, dass zur kommenden Wärmewende auch ein „Revival“ strombetriebener Nachtspeicherheizungen gehört.
Das bedeutet faktisch: ein Großteil der Anschlussnehmer von Erdgasverteilnetzen wird kein Interesse daran haben, an ein Wasserstoffverteilnetz angeschlossen zu werden. Die Transformation von großen Teilen der Erdgasverteilnetze in Wasserstoffnetze wird bereits an der Nachfrage scheitern. Das haben auch die Regulatoren erkannt. Die europäische Kommission plant, den gemeinsamen Betrieb von Erdgas- und Wasserstoffnetzen durch strenge Entflechtungsvorgaben praktisch zu verbieten. Das soll verhindern, dass Netzentgelte, die von den Erdgasnetzkunden entrichtet werden, zum Aufbau von Wasserstoffnetzen verwendet werden, von denen die Erdgasnetzkunden jedoch nie profitieren werden. Verhindert werden soll also eine Quersubventionierung des Aufbaus von Wasserstoffnetzen. Unklar bleibt, wie dann die Finanzierung von Wasserstoffnetzen gelingen soll, denn diese steht vor dem gleichen „Henne-Ei-Problem“ wie die Infrastruktur für Elektromobilität: am Anfang stehen riesige Fixkostenblöcke einer geringen Kundenzahl gegenüber. Ob die Pläne der EU-Kommission tatsächlich Realität werden ist aktuell offen: neben der Kommission hat auch das europäische Parlament sowie der Rat noch ein Wörtchen mitzureden. Aktuell zeichnet sich jedoch ab, dass Erdgasnetzbetreiber nicht ohne weiteres zu Wasserstoffnetzbetreibern werden dürfen.
Selbst wenn die oben beschriebenen Probleme nicht existieren würden ist das größte Problem bei der Transformation eines Erdgas- in ein Wasserstoffnetz: der Transformationspfad, also: wie genau komme ich von Erdgas zu Wasserstoff? Im Falle der Umstellung von Erdgasnetzen von sogenanntem „L-Gas“ auf „H-Gas“, also von einer Erdgassorte in eine andere Erdgassorte war das noch einfach, denn Erdgasheizungen können grundsätzlich auch mit der „falschen“ Erdgassorte betrieben werden, wenn auch mit verringerter Effizienz. Das bedeutet, dass die Umstellung der Gassorte an einem Stichtag vorgenommen werden konnte, ohne am gleichen Stichtag notwendigerweise auch alle Verbraucher umzustellen. Die Umrüstung der Heizungen konnte in einem Zeitraum von Wochen oder sogar Monaten um den Stichtag der Gasumstellung vorgenommen werden, ohne dass Netzkunden ihre Geräte nicht betreiben konnten. Erdgasheizungen können aber, wie oben beschrieben, keinen Wasserstoff verbrennen. Damit müssten theoretisch am Stichtag der Gas-Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff alle angeschlossenen Endkunden ihre Heizung wechseln! Da das unmöglich ist müsste die Umstellung – wie bei der H-Gas-Umstellung – auf einen Zeitraum gestreckt werden, in dem die Verbraucher jedoch auf ihre Geräte verzichten müssten. Aber welcher Endverbraucher kann schon wochen- oder monatelang auf warmes Wasser verzichten? Es müssten also übergangsweise andere Wärmeerzeuger auf Strombasis installiert werden. Wenn aber ohnehin Wärmeerzeuger auf Strombasis installiert werden müssen, warum dann nicht gleich dauerhaft? Wozu dann noch eine „Rolle rückwärts“ zum Gas, wenn Wasserstoffheizungen im Betrieb voraussichtlich auch noch teurer sind als Stromheizungen?
Als ein möglicher Transformationspfad wird manchmal die Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas gesehen. Durch die schrittweise Anhebung des Wasserstoffanteils soll den Verbrauchern eine gestaffelte Umstellung ermöglicht werden. Leider ist eine Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas nur bis zu einem Anteil von maximal 20 Prozent (manche sagen: 30 Prozent) möglich. Bei höheren Quoten steigen die ersten Erdgasheizungen aus und funktionieren nicht mehr. Darüber hinaus hat Wasserstoff eine deutlich geringere Dichte als Methan, so dass kein homogenes Gemisch entsteht. Der Wasserstoffanteil am „Zapfhahn“ wird also von Verbraucher zu Verbraucher unterschiedlich sein, was deutliche Probleme im Betrieb mit sich bringt. Von einer eichrechtskonformen Abrechnung ganz zu schweigen…
Wenn man es zu Ende denkt gibt es nur eine Möglichkeit, ein Erdgasnetz in ein Wasserstoffnetz umzuwandeln: Beendigung des Erdgasbetriebs, Abtrennen aller Verbraucher, Umrüsten der (wenigen) Nutzer, die tatsächlich Wasserstoff statt Erdgas beziehen wollen, und Wiederbefüllung des Gasnetzes mit Wasserstoff. Ob das wirtschaftlich gelingen kann wird wesentlich davon abhängen, wann und unter welchen Umständen Erdgasnetzbetreiber den Betrieb einstellen dürfen. Aktuell werden die meisten Erdgas-Konzessionsverträge mit den Kommunen die Verpflichtung zum (Weiter-)Betrieb des Erdgasnetzes beinhalten. Die Betreiber dürfen den Betrieb also nicht einfach einstellen, solange es noch Anschlussnehmer gibt. Diese Regelung verhindert jedoch eine Umstellung des Netzbetriebs auf Wasserstoff, zumindest während der Laufzeit des Konzessionsvertrags. In den nächsten Jahren wird man daher mit hoher Wahrscheinlichkeit beobachten, dass Erdgas-Konzessionsausschreibungen ohne Bewerber enden. Was dann passiert, ist nicht so ganz klar: dürfte der Alt-Konzessionsinhaber den Betrieb des Netzes einstellen, um das Erdgasnetz in ein Wasserstoffnetz zu transformieren?
Es wäre sicher sinnvoll, wenn die Politik die Rahmenbedingungen für die Transformation – oder auch die Stilllegung – von Erdgasnetzen besser absteckt, damit alle Akteure sich darauf einstellen können. Im Moment sind noch viele Fragen offen.