Planung ins Blaue: Der Wasserstoffhochlauf zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit

Beim Wasserstoffhochlauf beobachten wir derzeit das, was Psychologen eine „Übersprungshandlung“ nennen: wenn man nicht weiß, was man machen soll, macht man erstmal irgendetwas…

Gemeint ist vor allem die sogenannte „Gasnetztransformationsplanung“, die aktuell läuft und an der alle Gasnetzbetreiber mitwirken sollen. Ziel ist es, detailliert darzustellen, welche Teile des heutigen Erdgasnetzes künftig mit Wasserstoff oder anderen grünen Gasen weitergenutzt werden können – und wie eine Umstellung technisch erfolgen soll.

Dazu sollen Netzbetreiber Bedarfe schätzen, Kunden befragen, Regionen bilden, Umstellzonen festlegen, Transformationspfade entwickeln und alles in Richtung einer zukünftigen Wasserstoffwelt orchestrieren. Grundlage: Annahmen. Oder ehrlicher gesagt – Hoffnungen.

Psychologen nennen das „Übersprungshandlung“. Wenn der eigentliche Konflikt nicht lösbar erscheint, tut man etwas anderes – etwas vermeintlich Rationales, um das Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen. Ungefähr so, als wenn man eine Masterarbeit schreiben soll, aber lieber erstmal das Bad putzt. Oder als ob man sich erstmal am Kopf kratzt, anstatt eine Antwort auf eine schwierige Frage zu geben.

So ähnlich ist es beim Wasserstoffhochlauf. Praktisch alle entscheidenden Parameter sind vollkommen unklar:

  • Wie teuer wird grüner Wasserstoff sein?
  • Wieviel Wasserstoff wird überhaupt verfügbar sein?
  • Welche Erdgas-Verbraucher lassen sich auf Wasserstoff umrüsten – und mit welchem Aufwand?

Trotzdem sollen die Netzbetreiber jetzt mit ihren Erdgaskunden das Gespräch suchen und den zukünftigen Wasserstoffbedarf abschätzen. Jeder Ökonom weiß, dass die Nachfragemenge vom Preis abhängt. Und den kennen wir nicht. Was sollen also diese „Bedarfsabfragen“? Das sind reine Luftschlösser.

Das gleiche gilt für den Begriff „H2-ready“. Dieser ist gar nicht definiert, jeder versteht etwas anderes darunter. Anlagen, die sich ohne großen Aufwand auf 100% Wasserstoffbetrieb umrüsten lassen, gibt es derzeit jedenfalls nicht. Weder kleine Blockheizkraftwerke noch große Gasturbinen. Klar, man kann letztlich jede Anlage „umrüsten“. Aber wenn man praktisch alle Bauteile tauscht und nur die Hülle stehenlässt, ist es dann noch eine „Umrüstung“? Und war die Anlage dann „H2-ready“?

Letztes Beispiel, um zu zeigen, wo wir wirklich stehen: das geplante Wasserstoffkernnetz mit einer Länge von 9.040 Kilometern benötigt bei einem Betriebsdruck von 70 bar etwa 25.000 Tonnen Wasserstoff, nur um die Rohre zu füllen – also ohne Entnahmen. Pro Jahr werden derzeit etwa 5.000 Tonnen grüner Wasserstoff in Deutschland produziert. Wir bräuchten also fünf Jahre, nur um das Kernnetz zu füllen! Vorausgesetzt, niemand entnimmt etwas.

Jeder hat schon mal geputzt, statt eine unangenehme Aufgabe zu erledigen. Das ist menschlich, wenn auch irrational. Aber ist es wirklich sinnvoll, jetzt detaillierte „Umstellungspläne“ zu schreiben, die größtenteils fiktiv sein dürften?

Ich weiß ja nicht …

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