Einige Stromlieferanten sind angeblich Zocker. Sie verkaufen Strom, den sie gar nicht haben, und hoffen, ihn bei Lieferung günstig einkaufen zu können. EU und Bundesregierung wollen das unterbinden. Aber ist das wirklich sinnvoll?
Eigentlich ist es vollkommen normal, Ware zu verkaufen, die man (noch) gar nicht hat. In vielen Bereichen wird die Ware erst beschafft, nachdem der Absatzvertrag geschlossen wurde. Bei Neuwagen wir das Fahrzeug sogar verkauft, bevor es überhaupt gebaut ist. Und auch jeder Handwerker kauft das Material in der Regel nur dann ein, wenn er auch einen Auftrag vom Kunden hat.
Auch im Aktienhandel gibt es sogenannte “Short Seller”, die geliehene Aktien verkaufen, um sie später günstiger wieder zurückzukaufen und damit einen Profit zu erwirtschaften. Diese Geschäfte habe einen schlechten Ruf, sind aber nicht per se problematisch und deswegen auch grundsätzlich legal.
Zum Problem wird eine nachgelagerte Beschaffung, wenn die Preise unerwartet steigen und die Kalkulation eines Lieferanten, eines Handwerkers oder eines Aktienhändlers nicht mehr aufgeht. Es kann passieren, dass er seinen Teil des Vertrags, die Lieferung der Ware, dann nicht mehr einhalten kann.
In der Energiekrise ist das vielfach passiert, nicht nur im Bereich der Stromhändler. Auch viele Bauunternehmer hatten Werkverträge mit Festpreisen geschlossen, die durch steigende Materialpreise plötzlich unrentabel waren. Ins öffentliche Bewusstsein prägten sich allerdings die Energiediscounter ein, die ihre Kunden – teils rechtswidrig – aus ihren Verträgen schmissen.
Die EU will die Energieversorger jetzt zu einer Absicherung (#Hedging) zwingen. In der neuen #Richtlinie 2024/1711 vom 26.06.2024 wird unter anderem festgehalten, dass Versorger “angemessene Absicherungsstrategien” haben, um “das Risiko von Änderungen des Stromangebots auf Großhandelsebene für die wirtschaftliche Tragfähigkeit ihrer Verträge mit Kunden zu begrenzen”. Anders gesagt: ein plötzliches Steigen der Börsenpreise darf nicht dazu führen, dass die Kalkulation des Versorgers nicht mehr aufgeht.
Gleichzeitig wird aber auch geregelt, dass “die Liquidität an den Kurzfristmärkten und die von [ihnen] ausgehenden Preissignale” aufrechterhalten bleiben müssen. Die EU hat also nichts grundsätzlich einzuwenden gegen Energiebeschaffung an den Spotmärkten.
Wie die Versorger ihre #Absicherungsstrategie aufbauen, bleibt den Unternehmen überlassen. Denkbar sind Termingeschäfte oder PPA-Verträge, wobei keine Mindestquoten vorgegeben werden.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat am 27.08.2024 einen Referentenentwurf für ein Umsetzungsgesetz vorgelegt, das die Vorgaben der EU – jedenfalls diesbezüglich – praktisch wortgetreu übernimmt.
Die neuen Vorgaben sind wachsweich und können kaum als Revolution gelten. Die meisten Versorger werden das nötige Risikomanagement schon aus Eigeninteresse längst aufgebaut haben. Aber vielleicht lassen sich so wenigstens einige “schwarze Schafe” aussortieren.